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Die «Berner Erklärung» vom 21. März 1934

«Es ist schon merkwürdig, wie in dem stillen Bern doch immer wieder […] Leben sein kann».
Ernst Freiherr von Weizsäcker, deutscher Gesandter in Bern, am 17. Juni 1934

Die Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai 1934 gehört heute zur DNA der reformierten Kirchen weltweit. Dass dieser bedeutendste reformierte Bekenntnistext des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger aus der Feder Karl Barths stammte, ist bekannt. Weniger bekannt ist dagegen die bis in den Wortlaut gehende Übernahme von Passagen aus den Berner Reformationsthesen vom 17. November 1527. Und gänzlich unbekannt selbst in der Schweiz ist die Berner Erklärung vom 21. März 1934. In dem – zumindest der Form nach – Bekenntnistext äussert sich der Vorstand des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes bereits zwei Monate vor den berühmten Barmer Thesen zur kirchlichen Situation in Deutschland.

Die Berner Erklärung richtete sich nicht an die oppositionelle deutsche Pfarrschaft wie ihr Barmer Pendant. Vielmehr war sie an Bischof Theodor Heckel, den Leiter des Kirchlichen Aussenamtes der offiziellen Deutschen Evangelischen Kirche adressiert. Die fünf in einfacher, nicht-theologischer Sprache von Adolf Keller im Gespräch mit Karl Barth verfassten Thesen, sollten die Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Deutschen Christen und Kirchenbund bilden. In der Sache enthalten sie eine Art reformatorischen Minimalstandard in ökumenischer Perspektive: 1. These: sola scriptura, die «Bibel Alten und Neuen Testaments» ist die einzige Quelle der kirchlichen Verkündigung; 2. These: solus Christus und sola fide, Christus ist der einzige Herr der Kirche und Rechtfertigung geschieht allein aus Glauben; 3. These: libertas christiana, die Unhintergehbarkeit der christlichen Freiheit; 4. These: ecclesia una sancta, die Katholizität und Ökumenizität der Kirche und die 5. These zur «gegenwärtige[n] Not und Verwirrung der Kirche in vielen Ländern» in der die weltweite Christenheit aufgefordert wird, dass «das wahre Wesen der Kirche Jesu Christi und ihrer Verkündigung, wie sie durch die Reformation neu erweckt wurde […] immer wieder neu zu erringen ist».

Die Bedeutung der Berner Erklärung, die auch auf Druck der schweizerischen Pfarrschaft auf den Vorstand des Kirchenbunds zustande kam, besteht in dreierlei. 1. In der Hochphase des nationalistischen Frontenfrühlings in der Schweiz wird Gottes Wort als alleiniges Fundament der christlichen Kirche bekannt. 2. Deutlicher als in der Barmer Theologischen Erklärung wird das jüdische Erste Testament ausdrücklich als biblische Grundlage der Kirche Jesu Christi genannt. Und 3. Die Berner Erklärung ist das einzige ökumenische Dokument zur Gleichschaltung der Kirche im nationalsozialistischen Deutschland.

Als kirchenpolitische Arbeitsgrundlage hatte das Dokument bereits im November 1934 ausgedient, weil der Kirchenbund fortan nur noch Kontakte zur bekennenden Kirche unterhielt. War das der Grund, warum die Berner Erklärung später vollständig in Vergessenheit geriet? Oder lag es daran, dass der Vorstand des Kirchenbundes zwar eine Erklärung abgegeben, in Wirklichkeit aber ein kirchliches Bekenntnis formuliert hatte?

Erklärung des Vorstandes des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes vom 21. März 1934

  1. Für eine Kirche, die sich auf die Reformation beruft, ist die Bibel Alten und Neuen Testaments, unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Erforschung, einzige Quelle und Norm ihrer Verkündigung.
  2. Nach allgemeinem evangelischen Verständnis beruht der Charakter einer Reformationskirche vor allem darin, dass sie Jesum Christum als ihren einzigen Herrn anerkennt und in der Rechtfertigung durch den Glauben an ihn, nicht aber in irgendwelchen natürlichen Vorzügen oder Leistungen die Bedingung für alles Heil erblickt.
  3. Die Kirche der Reformation hat für die Freiheit eines Christenmenschen gekämpft. Die geistige Freiheit ist einer evangelischen Kirche auch heute unentbehrlich für die Verkündigung ihrer Botschaft.
  4. In weitgehender Übereinstimmung mit dem Glauben der evangelischen Christenheit hat eine evangelische Kirche, unbeschadet der nationalen Eigenart, einen übernationalen Charakter, der in der Berufung durch Gott begründet ist. Er hat seine Kinder in allem Blut, in allen Rassen und in allen Völkern und hat uns in der Kirche eine Gemeinschaft des Geistes und des Glaubens, nicht aber des Blutes oder der Rasse oder staatlicher Bindung geschenkt.
  5. Die gegenwärtige Not und Verwirrung der Kirche in vielen Ländern treibt uns zu ernstlicher Busse, sowie zu einer neuen, gemeinsamen Besinnung auf das wahre Wesen der Kirche Jesu Christi und ihrer Verkündigung, wie sie durch die Reformation neu erweckt wurde und immer wieder neu zu erringen ist.

Zum Weiterlesen: Birger Maiwald, Ökumenischer Kirchenkampf. Die «Berner Erklärung» des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes von 1934, Bern 1997; Frank Mathwig, «Das wahre Wesen der Kirche Jesu Christi». Kirchenpolitik und politische Ethik zwischen Bern und Barmen: Magdalene L. Frettlöh (Hg.), «Gottes kräftiger Anspruch». Die Barmer Theologische Erklärung als reformierter Schlüsseltext, Zürich 2018, 237–266; ders., Weiter schlafen? 80 Jahre Berner Erklärung des Kirchenbundes: bulletin sek-feps 1/2014, 54–57.