Theologie & Ethik

Geschöpfliches Leben im Raum der Kirche

Theologie und Ethik sind nach reformatorischem Verständnis Teil der kirchlichen Praxis oder mit den Worten Karl Barths eine «Funktion der Kirche». Obwohl sie als akademische Disziplinen an Universitäten und Hochschulen gelehrt und studiert werden, haben Theologie und Ethik im kirchlichen Kontext einen spezifischen Charakter. Ihre Aufgaben, Themen und Zielsetzungen sind mit der Kirche Jesu Christi direkt verbunden. Theologie und Ethik beschäftigen sich mit der Bibel und den verschiedenen Formen und Traditionen ihrer Auslegung.

Aus evangelisch-reformierter Sicht bestehen Kirche, Staat, Gesellschaft und Privatsphäre nicht unabhängig voneinander. Einen Unterschied zwischen kirchlicher, staatlicher oder gesellschaftlicher Ethik und privaten Moralen gibt es demnach nicht. Das göttliche Gebot und die menschlichen Ordnungen (Emil Brunner) sind die beiden Seiten einer Medaille. Christenmenschen sind zugleich Mitglieder der Christengemeinde und der Bürgergemeinde (Karl Barth). Das christliche Leben steht ohne Ausnahme unter der «Königsherrschaft Christi». Deshalb gibt es keine «Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften» (Barmer Theologische Erklärung, II. These).

Erst ab dem 18. Und 19. Jahrhundert differenzierten sich die modernen Wissenschaften aus. Damit war der Grundstein gelegt für die spätere Unterscheidung zwischen dogmatischer Theologie und theologischer Ethik. Die ethische Reflexion gewann im Zuge der enormen wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung auch in den Kirchen. Unter den Schlagworten «Autonomie» und «Selbstbestimmung» wechselte der ethische Fokus von dem Handeln (in) der Gemeinschaft auf das Urteilen und Handeln der Einzelperson. In der jüngeren Vergangenheit kamen neue Fragestellungen auf, allen voran nach dem Umgang mit der nichtmenschlichen Natur. Ins Zentrum auch der theologischen Ethik rückte die Verantwortung für die Mitmenschen in Familie, Gemeinschaft, Gesellschaft und im globalen Zusammenhang, für das geborene und ungeborene menschliche Leben in Gegenwart und Zukunft, für die Natur in all ihren Ausprägungen, für das Überleben der Gattung Mensch und die alles Leben umfassende Bewahrung der Schöpfung.

Kirche als Teil der Welt trägt Verantwortung für die Welt. Sie verkündigt Christus als Erlöser der Schöpfung und die göttliche Verheissung auf ein Leben in Fülle. Sie nimmt Gottes Wort ernst, indem sie sich für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Theologische Ethik gründet nach Johannes Calvin in zwei fundamentalen Einsichten: Erstens hat Gott nicht auf sein Recht verzichtet, als er den Menschen die Verantwortung für die Schöpfung übertrug. Und zweitens müssen alle menschlichen Ordnungen und Normen dazu dienen, die Menschlichkeit im Menschen zu bewahren. Im Raum der Kirche hat die Ethik die Aufgabe, das Reden und Handeln an Gottes Wort zu orientieren, ohne die Bibel auf eine Moralfibel, ein Gesetzbuch oder eine simple Handlungsanweisung zu reduzieren.

Kontakt

Stephan Jütte, Leiter Theologie und Ethik Mitglied der Geschäftsleitung