Marga Bührig (1915–2002)

Feministische Theologin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin, die die Ökumene allen
zugänglich machte

Marga Buehrig
Marga Bührig / © epd-bild Norbert Neetz

«Das Leben leidenschaftlich lieben – Gerechtigkeit leidenschaftlich suchen. Das sind die Grundwerte meines Lebens. Ich gebe sie weiter an Frauen und Männer, die nach mir kommen.»

Marga Bührig wurde 1915 in Berlin geboren, ihre Familie mütterlicherseits war im polnischen Adel verwurzelt, die Familie des Vaters stammte aus dem deutschen Baltikum. 1925 zog sie mit ihrer Familie nach Chur. Das dortige Klima sollte dem lungenkranken Vater helfen. Als Jugendliche fühlte Bührig sich oft einsam und fremd, in ihrem bildungsbürgerlichen Elternhaus waren Religion und Glaube keine Themen. Bührig studierte Germanistik und Geschichte und schloss 1939 mit der Promotion ab, zunächst arbeitete sie als Journalistin und Lehrerin.

Ein einschneidendes Erlebnis führte sie zu ihrem berufsbegleitenden Theologiestudium: Ein verheirateter Pfarrer, der für sie die erste grosse Liebe war, führte Bührig zum Christentum. Sie begann in Bibelkreisen für Frauen und Mädchen mitzuarbeiten und erlebte zum ersten Mal die Kraft einer reinen Frauengemeinschaft. Da sie Bibel und Leben miteinander verbinden wollte, entschied sie sich gegen eine akademische Karriere und gründete 1945 das reformierte Studentinnenheim in Zürich. In ihrem Gottesverständnis war Gott nicht überirdisch, sondern in menschlichen Beziehungen: «Die Erfahrung der Beziehung ist fundamental und grundlegend für den Menschen, sie ist gut und machtvoll, und nur innerhalb dieser Erfahrung, wie sie hier und jetzt geschieht, können wir erkennen, dass die Macht in Beziehung Gott ist.»

1947 rief Bührig den Evangelischen Frauenbund der Schweiz (EFS) ins Leben und wurde Redakteurin der Zeitschrift «Die Evangelische Schweizerfrau», die später zur ökumenischen Publikation «Schritte ins Offene» wurde. 1958 arbeitet Bührig an der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) mit. Auf ihre Initiative hin feierten Frauen der drei Landeskirchen einen gemeinsamen Gottesdienst. Diese Kirche gilt als Geburtsort der ökumenischen Frauenbewegung der Schweiz.

Bührig selbst hatte lange weniger mit feministischer Theologie im Sinn, die sie erst so richtig in den USA kennenlernte. In ihrer Tätigkeit als Leiterin der Tagungshauses Boldern (ab 1971) brachte sie ihre Reiseerfahrungen, die sie zunehmend politisierten und radikalisierten, mit. Als Mitbegründerin der Bewegung «Frauen für den Frieden» zog Bührig Ende der 70er Jahre die Kritik politisch einflussreicher Kreise in der Schweiz auf sich. So organisierte sie 1978 auf Boldern eine Tagung zum Thema «Frauenbewegung – Friedensbewegung – gemeinsame Anliegen, neue Wege und Ziele». Die öffentliche Solidarisierung mit der Friedensbewegung und die Ausrichtung der Tagung auf Frauen führten zu heftigen Angriffen auf Bührig selbst. Sie fühlte sich ihr Leben lang dem Evangelium verpflichtet. Doch sie erlebte die Kirche oft als zu wenig mutig. Sie war überzeugt, dass Frauen durch ihre Lebenserfahrung einen unverwechselbaren Beitrag zur Lösung von Konflikten leisten können.

Bührig war dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der ökumenischen Bewegung seit ihrer gastweisen Teilnahme an der zweiten Vollversammlung des ÖRK in Evanston 1954 verbunden und wurde in der Schweiz eine Vorreiterin in der ökumenischen Frauenbewegung. Als Vertreterin des ÖRK wurde sie Teil einer Gruppe von katholischen und reformierten Frauen, die sich anlässlich des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Themen und Ziele des Konzils austauschten. «Die gemeinsame Frauenerfahrung war schon damals stärker als alles, was uns trennte», schrieb Bührig über dieses Treffen. Die Gruppe wurde 1968 zur Women’s Ecumenical Liaison Group, die die Ökumenikerin liebevoll als ihr «Kind» beschrieb. Hier traf sie auf junge radikale Feministinnen, People of Colour, Anhängerinnen der Friedensbewegung.

Sie setzte sich bis zu ihrer Pensionierung in Boldern 1981 für eine gesellschaftliche Öffnung der Kirche, Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit ein. Dank ihrer Publikationen und öffentlichen Auftritte galt sie als profilierteste Theologin der Schweiz, offen und unabhängig.

Bührig war überzeugt, dass feministische Befreiungstheologie die Theologie weltweit inspiriert und nachhaltig verändert. Als Bührig 1983 in Vancouver als eine der sieben Präsidentinnen des ÖRK gewählt wurde, war sie ohne ihr Wissen von ihren Freundinnen und Freunden vorgeschlagen worden. Die offizielle Delegation der Schweiz hatte sie nicht nominiert und war ziemlich überrascht. In der Zeit von 1988 bis 1990 war Bührig Moderatorin der Vorbereitungsgruppe für die Weltkonferenz des ÖRK zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Seoul und dann im Februar 1990 eine der Ko-Präsidentinnen dieser Konferenz.

Ihre letzten 20 Lebensjahre verbrachte sie mit ihren Lebenspartnerinnen Else Kähler, mit der sie seit 1947 liiert war, und Elsi Arnold, seit 1961 mit dem Paar zusammen, in Binningen BL. Bührig sah sich als «frauenidentifizierte Frau», die sich mit ihrer Lebensgemeinschaft unabhängig von Männern machte. So setzte sie sich in ihrem Lebenswerk später auch für die Rechte von Homosexuellen und die Würde lediger Frauen in der Kirche ein. Sie hat ungezählten Frauen weit über das kirchlich-ökumenische Umfeld hinaus Mut gemacht, ein selbstbewusstes Leben als Frauen zu führen.

Bührig gründete die nach ihr benannte Stiftung, die 1999 erstmals den Förderpreis für feministisch-befreiungstheologische Arbeiten von Frauen vergab.