Pfingsten, Geist und Geisterbahn

Die Fahrt auf der Geisterbahn… erinnerst du dich? – Wieder einmal ist Chiubi, da wollen die Kinder natürlich hin: Wegen der Putschautos, der Zuckerwatte, und ja, wegen der Geisterbahn. «Gell, wir dürfen?!» Und du denkst: «Muss das sein?» Jahrmarkt ist sowieso anstrengend, aber die Geisterbahn übersteigt so ziemlich alles, was du dir aus Liebe zu deinen Kindern sonst noch antust.

Du setzt dich also mit deinem teils prahlenden, teils verängstigten Nachwuchs in den ruckelnden Wagen, den du nicht einmal selber steuern kannst, und schon schluckt euch die Finsternis. Mit versteinerter Miene lässt du die Fahrt über dich ergehen. Skelette klappern im Blitzlicht, Horrorfratzen brechen in Gelächter aus, Totenschädel wackeln mit ihren Plastikaugen und ein Pyjama-Gespenst zieht dir seine fettigen Haarsträhnen durchs Gesicht. Den Kindern ist das Lachen vergangen, sie krallen ihre Finger in deine Hand und kreischen dir die Ohren voll. Nach einer gefühlten Ewigkeit – endlich Licht am Ende des Tunnels! Die Höllenfahrt rollt aus, wieder Schiessbudengelächter und Bratwurstdunst. Der Spuk ist vorbei. Und deine Kinder jubeln: «Das war mega!»

«Ja, mega?», nickst du geistesabwesend und fragst dich einmal mehr, warum die Kids so gern mit der Angst spielen. Das Gruselige zieht sie offenbar magisch an. Du hingegen brauchst keine Geisterbahn mehr. Dein Leben bringt dir den Adrenalinschub ganz von selbst. Es serviert dir die Schreckmomente ungefragt, unentgeltlich, ungeplant. Manchmal direkt, meistens aber indirekt: Die Krebsdiagnose deiner Freundin. Den Suizid deines Arbeitskollegen. Das Kind, das im Quartier überfahren worden ist. Bei jeder neuen Schreckensnachricht bist du zusammengezuckt. Noch eine Weile überschattete sie deine Gedanken wie ein böser Geist. Dann verblasste die Angst wieder – das Leben ist ja auch voller Schönheit, Lust und Freude. Doch total fröhlich und richtig unbeschwert bist du fast nie. Die Leichtigkeit des Lebens ist vergangen. Einfach rausfahren aus der Geisterbahn, aussteigen und lachen wie damals als Kind, das geht nicht mehr. Schliesslich sind deine Schreckmomente real, nicht fake wie auf der Chilbi. Schreckliches geschieht immerzu, auch jetzt gerade, während du das hier liest. Irgendwo hat jemand in diesem Moment Angst. Ist das Leben vielleicht nichts anderes als eine einzige grosse Geisterbahn?

Pfingsten gibt eine Antwort auf diese Frage: Nicht nur Ungeister beherrschen die Welt. Es gibt auch den guten, heiligen Geist, der allen Menschen geschenkt ist. Dieser Geist ist Gott selbst. Er begegnet uns als positive Kraft, als schöpferische Energie und als unendlich liebevolles Du. Nicht sichtbar, nicht fassbar, aber wirklich und wirksam. Heiliger Geist eben! (Und bevor du fragst: Nein, es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür. Gott ist, aber anders. Sonst wäre er wie du – vergänglich.)

Das Leben bleibt eine Geisterbahn, mit und ohne Gott. Die Angst überfällt dich nicht grundlos. Schicksalsschläge kommen. Leider. (Und bevor du schon wieder fragst: Nein, es gibt keine schlüssige Erklärung dafür, warum Gott das Böse zulässt. Vielleicht erklärt er sich später einmal.)

Doch eins macht uns Pfingsten klar: Ungeister sind nur die halbe Wahrheit. Und sie treffen auf starken Widerstand! Sie haben keine freie (Geister-)Bahn für ihr böses Spiel. Immer weht auch ein guter Geist, über dir, neben dir, ja sogar in dir. Sprichst du zu Gott, bist du mit dieser grossen Kraft verbunden. Gottes Geist: Er begleitet dich auch im schrecklichsten Moment auf der übelsten Geisterbahn deines Lebens.

Wenn also die nächste Schreckensbotschaft oder der nächste Schicksalsschlag dich ängstigt, dann mach ihm nicht die Freude, an ihm zu verzweifeln. Das Böse verdient keine Gewalt über dich. «Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit», sagt Paulus in der Bibel. Sollen sie kommen, die Gespenster. Es wird trotzdem Pfingsten.

Bettina Beer-Aebi, Projektleiterin und Gottfried Locher, Ratspräsident, Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund

Der Text erschien am 08.06.2019 als Gastbeitrag in der Berner Zeitung.