Satelitenaufnahme der Erde

Land Israel, Staat Israel, heiliges Land

Die Bedeutung von historisch-theologischen Zugängen für den jüdisch-christlichen Dialog

Land Israel, Staat Israel, heiliges Land: für einen sachlichen Dialog über Israel/Palästina
Verlautbarung der Evangelisch-Jüdischen Gesprächskommission EJGK

1. Die Evangelisch-Jüdische Gesprächskommission EJGK stellt fest, dass Debatten über Israel/Palästina oft einseitig und undifferenziert geführt werden.

Gespräche zwischen und innerhalb von Gruppen oder Gremien, die sich vom Israel/Palästina-Thema angesprochen fühlen oder sich auf der einen oder anderen Seite positionieren, werden oft einseitig und undifferenziert geführt. Gestützt auf ihre lange Erfahrung des Dialogs möchte die EJGK die Bemühungen all dieser Gruppen und Gremien unterstützen. Dabei muss bewusst bleiben, dass in diesem Dialog zwei Perspektiven bzw. Partner beteiligt sind: die Juden und die evangelischen Christen. Zugleich findet dieser Dialog auf dem Hintergrund der Existenz eines dritten Partners – der Muslime – statt, der in diesem Thema eine wesentliche Rolle spielt.

2. Debatten im Spannungsfeld Israel/Palästina sind häufig einseitig und undifferenziert, weil die Gesprächspartner ihre Einstellungen mit ihrer eigenen Anschauung, ihren persönlichen Projektionen und dem kollektiven Gedächtnis verbinden.

Diese Verknüpfung kann auf allen Seiten in unterschiedlichem Masse Identitätsängste auslösen, da die Gesprächspartner durch ihre jeweilige Geschichte und deren Rezeption geprägt sind. Diese Geschichte ist auch belastet durch die lange Tradition des Antisemitismus in Europa und durch die koloniale Vergangenheit westlicher Staaten. Eine Rolle spielen auch die unterschiedlichen Interpretationen völkerrechtlicher Verpflichtungen sowie der Status der seit 1967 von Israel verwalteten Gebiete und der palästinensischen Flüchtlinge. Diese Faktoren lösen Emotionen, Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte aus, welche selbst sachlich geführte Debatten überschatten.

3. Ein Bewusstsein für die eigene religiöse oder weltanschauliche Prägung hilft bei der Objektivierung des Themas.

Persönliche Anschauungen, die auch religiös oder durch Gedankensysteme aller Art geprägt sind, beeinflussen die Sicht auf das Spannungsfeld Israel/Palästina wesentlich. Dies ist unvermeidlich. Hier ist der Sache gedient, wenn man sich immer wieder bewusst wird, was die eigenen Vorstellungen und Denkweisen bestimmt und nährt.

4. Eine umfassende Kenntnis der historischen, politischen, kulturellen und religiösen Zusammenhänge ist förderlich für einen differenziert und sachlich geführten Dialog.

Bewusstseinsförderung alleine reicht aber nicht aus. Es braucht umfassende Kenntnis der historischen, politischen, kulturellen und religiösen Zusammenhänge. Dieses Wissen wird heute leider zu wenig vertieft und unilateral vermittelt. Dabei ist gerade beim Spannungsfeld Israel/Palästina Zuhören und gegenseitiges Anerkennen oft zielführender als Erklärungs- und Überzeugungsversuche. Deswegen hat die EJGK historischtheologische Zugänge zu einigen konfliktträchtigen Begriffen erarbeitet, namentlich zu: heilig, Land und Staat Israel, Messianismus, Palästina, Volk Israel, Zionismus.
Diese aufgezählten Gesichtspunkte führen zur Schlussfolgerung, dass ihnen nur im Rahmen eines konstruktiven und echten Dialogs Rechnung getragen werden kann. Die Evangelisch-Jüdische Gesprächskommission ermutigt alle an den Debatten über Israel/Palästina Beteiligten:
– sich ihre emotionalen Verstrickungen und traditionellen Prägungen in diesem Spannungsfeld bewusst zu machen,
– mehr in Wissensvermittlung zu investieren,
– Gesprächspartner ernst zu nehmen und ihnen mit Respekt zuzuhören.

Dies ist aus der Sicht der EJGK der Weg zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Israel/Palästina und einem inklusiveren Dialog zwischen den unterschiedlich geprägten Gemeinschaften.

I. GESAMMELTE ÜBERLEGUNGEN DER EVANGELISCH-JÜDISCHEN GESPRÄCHSKOMMISSION

Warum dieses Thema?

Wer nach dem Heiligen Land und dem Bestehen des Staates Israel fragt, muss feststellen, dass das Thema den jüdisch-christlichen Dialog belastet. Starke emotionale und existentielle Aufladung sowie leidenschaftliche Reaktionen überbieten plötzlich rationale, kontextuell verortete Argumente und können zu irrationalen Einstellungen führen. Für die einen verknüpft sich die jüdische Identität aus verschiedenen Gründen mit dem Land Israel und mit dem Bestehen des Staates Israel. Deshalb wird jede zu Recht oder zu Unrecht formulierte Kritik am Staat Israel als Infragestellung des Judeseins wahrgenommen.

Viele Christen deuten den Staat Israel heilsgeschichtlich, weil sie in ihm die Erfüllung der alttestamentlichen Prophetien zu erkennen glauben. Zudem sind derart hohe religiös-moralische Erwartungen an den Staat Israel vorhanden, dass Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Sicherheit des Staates stehen, Empörung auslösen. Dabei sind die Fronten bei weitem
nicht so klar und unmissverständlich abgegrenzt oder identifizierbar, wie oft angenommen wird.

Einfache Antworten auf die komplexen Fragen rund um die religiöse und politische Bedeutung von Land und Staat Israel vergiften das gegenseitige und für eine eingehende und wahrhaftige Diskussion unerlässliche Vertrauen. Man gefährdet mithin das Verständnis, das in persönlichen Begegnungen, in jüdisch-christlichen Arbeitsgruppen geführten Gesprächen und in nationalen und internationalen Gremien über Jahre aufgebaut und gefestigt wurde. Der Mangel an Nuancierungen bei einem so sensiblen Thema verursacht schnell Vereinfachungen, Einseitigkeiten und eine Voreingenommenheit, welche zu Ressentiments, Gleichgültigkeit und Entfremdung führen.

Das Thema birgt in sich eine Ambivalenz, die dem Judentum wesenhaft ist. Das Judentum ist gleichzeitig eine Religion und ein Volk, die beide an ein Land gebunden sind: Die religiösen Gebote bestimmen die Beziehung des Volkes zu dem ihm verheissenen Land Israel (Eretz Israel) und der Bezug zum Land ist konstitutiv für die jüdische Identität. Im christlichen Bewusstsein sind bis zur heutigen Zeit das Land Israel und die Stadt Jerusalem immer wieder historisch, eschatologisch oder symbolisch aufgeladen worden. Dadurch zeigt sich die grundsätzliche Asymmetrie zwischen Judentum und Christentum. Diese erfordert ein permanentes Bemühen, die relevanten Begriffe für das Verständnis, dessen was für die Gesprächspartner auf dem Spiel steht, zu klären.

Als Arbeitsgruppe, die aus jüdischen und evangelischen Mitgliedern zusammengesetzt ist, erlebte die Evangelisch-Jüdische Gesprächskommission EJGK selber über Jahre in ihrem Dialog die erwähnten Schwierigkeiten bei diesem Thema: Auch Argumente und Gegenargumente mit verifizierter Begründung aus dem Kontext und der Motivation der jeweiligen Protagonisten mochten nicht überzeugen. Die Kommission musste zur Einsicht kommen: Hier geht es um grundlegende, nicht immer bewusste oder kontrollierbare Emotionen, die die persönliche Biographie und die religiöse Identität der Beteiligten treffen. Aus dieser Erfahrung machte es sich die EJGK zur Aufgabe, diese Erkenntnis durch ihre Dialogpraxis zu bearbeiten und anderen Dialogund Interessengruppen zugänglich zu machen.

Zielsetzung

Mit diesem Thema führt die Kommission das in der Gemeinsamen Erklärung zum Dialog von Juden und evangelischen Christen in der Schweiz (2010) begonnene Gespräch weiter. Jenseits aller Glaubensdifferenzen zwischen Juden und Christen postulierte diese Erklärung eine gemeinsame Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Umwelt. Dieses Fundament bildet die Grundlage der vorliegenden Verlautbarung.
Die Kommission will angesichts des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens die bereichernde Dialogerfahrung fortsetzen. Durch gründliches und versachlichendes Nachdenken, das eine Distanz – im Sinne von Paul Ricœurs Begriff der «Distanzierung» oder «Distanznahme» (distanciation), der die Andersartigkeit berücksichtigt – bewirkt, will die Kommission Folgendes erreichen:
– hartnäckige Vorurteile bekämpfen;
– einseitige Sichtweisen verlassen und die verschiedenen – religiösen, (geo-)politischen, kulturellen – Ebenen differenzieren;
– die Debatte entschärfen und versachlichen;
– die Wandlung des jüdischen Selbstbewusstseins im 20. Jahrhundert durch die Übernahme einer aktiven Rolle in der Weltgeschichte wahrnehmen;
– mit den Verschiedenheiten umgehen lernen und sie im Dialog fruchtbar werden lassen.

Was ist der Beitrag der Kommission?

Die Kommission schlägt keine politischen Lösungen vor; als Gesprächskommission ist dies auch nicht ihr Auftrag. Ihr Beitrag besteht darin, die Bedingungen für einen authentischen Dialog aufzuzeigen, um die einseitigen Einstellungen der beteiligten Parteien zu überwinden. Ein wahrhafter Dialog kann nur auf Augenhöhe zwischen gleichberechtigten (Gesprächs-)partnern geführt werden, die dem anderen zuhören, dessen Sichtweise achten und dessen (Glaubens-)Überzeugungen ernst nehmen. Nur so kann verhindert werden, dass es zu verhängnisvollen Polarisierungen kommt. Ein offenes Gespräch führt zur Anerkennung des anderen, die es ermöglicht gegenseitige Beziehungen zu gestalten und gemeinsam Wege in eine friedliche Zukunft zu suchen.

Der Dialog erfordert auch Wissen und einen kritischen Blick auf die Geschichte, um über eine einseitige Sicht der Dinge hinauszugehen. Als Grundlage dafür hat die Kommission ihre eigenen Texte zu den Begriffen Palästina, Land und Staat Israel, Volk Israel, Zionismus, Messianismus, heilig erarbeitet.

Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung eines gegenseitigen aufmerksamen Zuhörens will die Kommission Menschen und Gruppen, die sich auf verschiedene Art und Weise mit diesem Thema befassen, dazu anregen und ermutigen, die dialogische Komponente, welche die Anerkennung des anderen anstrebt, in ihren Reflexionen und Tätigkeiten miteinzubeziehen.

II. HISTORISCH-THEOLOGISCHE BEGRIFFSKLÄRUNGEN – EIN VERSUCH

Heilig

Im Kontext des Nahostkonflikts spielt der Begriff «heilig» eine entscheidende Rolle. Er wird beispielsweise mit Land, Orten, Zeiten, Personen, Gegenständen und sogar mit Kriegen assoziiert. Jedoch stellt sich die Frage, wie der Begriff in den Grundtexten zu verstehen ist und ob tatsächlich von irdischen Dingen gesagt werden kann, dass sie heilig seien.

Als erster Schritt sollte man hier das Heilige vom Sakralen unterscheiden. Als sakral gelten Objekte oder Orte, denen eine in der natürlichen Ordnung der Dinge liegende Macht über die Menschen zugeschrieben wird. Diese Macht beraubt die ihr unterworfenen Menschen ihrer Freiheit und Verantwortung.

Heilig ist eher das, was ausgesondert wird, um die Begegnung zwischen Gott und dem Menschen zu ermöglichen und dadurch Gott in der Welt gegenwärtig zu machen. Dies soll für abgesonderte Texte (heilige Schriften wie beispielweise Tora, Bibel), Zeiten (Schabbat, Sonntag, Feiertage) und Orte gelten. Heilig ist in einem absoluten Sinn das, worüber der Mensch nicht verfügen und keine Macht ausüben kann. In diesem Sinne ist nur Gott heilig.

Versteht man «heilig» auf diese Weise, dann ist das «heilige Land» der Ort, der durch die Einhaltung der Gebote geheiligt werden muss, um für Gott durchlässig zu werden. In der frühen rabbinischen Zeit wird der Begriff «heiliges Land» für das Gebiet verwendet, in dem die landbezogenen Gesetze eingehalten und die Tempelabgaben geleistet werden müssen. In einem weiteren Sinn ist das Ziel aller Gebote der Tora, der sozialen wie der rituellen, den Namen Gottes zu heiligen im Land Israel und darüber hinaus in der Welt.

Somit wird verständlich, dass irdische Heiligkeit grundsätzlich kein Zustand ist, sondern ein Auftrag, der einen stets andauernden Prozess auslöst (Lev 19,2). Die Heiligkeit ist ein geschenktes Potential, das fordert, in die Tat umgesetzt zu werden. Wenn Heiligkeit darin besteht, Gott in der Welt zu dienen, mit dem Ziel, sie zu verändern, impliziert sie eine Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Umwelt bzw. der gesamten Schöpfung.

Land und Staat Israel

Im Tenach wird das Land, das die Juden Eretz Israel nennen, als das Land bezeichnet, «das ihnen zu geben ich ihren Vorfahren geschworen habe» (Dtn 10,11).

Welches Gebiet es genau umfasst, unterscheidet sich je nach den geopolitischen Verhältnissen in den verschiedenen Epochen der biblischen Geschichtsschreibung. Wird also der Begriff Eretz Israel verwendet, sind diejenigen Gebiete damit gemeint, die von den Bene Israel («Söhne Israel» bzw. Israeliten) bewohnt werden. Die Tora verknüpft das Recht in diesem Land zu leben mit dem
Bund, den Gott mit den Bene Israel geschlossen hat.

Aus biblischer und rabbinischer Sicht ist das verheissene Land immer dasjenige, in dem die Tora erfüllt und das Königreich Gottes verwirklicht werden sollen. Nur in dieser eschatologischen Hinsicht reicht das Land von einem Ende zum anderen – biblisch ausgedrückt: vom Nil bis zum Euphrat (Gen 15,18).

Spätestens ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung leben die Juden mehrheitlich in der Diaspora (Gola). In der jüdischen Tradition wird diese als Exil (Galut) bezeichnet. Aus diesem Grund besteht die Hoffnung, dass Gott sein Volk aus dem Exil in das Land zurückbringt, dass der Tempel wieder gebaut und die Prophezeiungen von Jesaja 11 erfüllt werden. Diese Hoffnung wird in der täglichen Synagogenliturgie und in Hausgebeten sowie in verschiedenen Gebräuchen ausgedrückt. Anderseits fordert die jüdische Tradition in Anlehnung an die Worte des Propheten Jeremiah (29,4–7), sich in den Ländern der Diaspora einzurichten und zu ihrem Wohl beizutragen. Gleichzeitig gab es stets jüdische Gemeinden in Eretz Israel sowie religiös motivierte Alijot (Plural von Alija: «Aufstieg» bzw. Einwanderung) von einzelnen Rabbiner oder ganzen Gemeinden nach Eretz Israel.

Bis zum Emanzipationsprozess in Europa bildeten die Juden sowohl in der christlichen wie in der muslimischen Welt mehr oder weniger autonome Gemeinden, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der umgebenden Mehrheitsgesellschaft standen. Das Mass der Autarkie ist proportional zur Intensität der Verfolgungen, denen jüdische Gemeinden ausgesetzt waren.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten nationalistische Ansprüche zur Bildung von Nationalstaaten. In diesem Rahmen und im Zusammenhang mit einer gefährdeten Emanzipation entstand auch ein jüdischer Nationalismus in der Form des Zionismus, der das Ziel hatte, einen selbstständigen Nationalstaat für die Juden in Palästina zu errichten. Von Anfang an hat es in der zionistischen Bewegung nebst der gemeinsamen politischen Vision und Zielsetzung verschiedene politisch, kulturell und religiös motivierte Strömungen gegeben.

Der Zionismus mündete 1948 in die Gründung des Staats Israel, der, zusätzlich zum Konflikt mit seinen arabischen Nachbarn, sein Verhältnis zum Land, zum Judentum und zur jüdischen Geschichte immer wieder von neuem definieren musste. In der Folge verschiedener Kriege, der ungelösten Frage der eroberten Gebiete und der palästinensischen Bevölkerung sowie der Neudefinition jüdischer Identität durch den Staat Israel in 2018 haben sich diese Fragen zunehmend verschärft.

Messianismus

Der Begriff des Messianismus knüpft an die im alten Israel geübte Praxis an, Könige und Priester zu salben. Er beinhaltet die Erwartung eines von Gott Gesalbten, der auf Erden ideale Zustände (wieder-)herstellt. Was diese Zustände genau umfassten, variierte je nach religiöser Ausrichtung und gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Messianismus ist eine dem Judentum und dem Christentum gemeinsame Vorstellung, die in der biblischen und jüdischen Tradition wurzelt. Die christliche Messiasidee baut auf der vorhandenen jüdischen Ausprägung der Messiaserwartung auf. Beide haben sich im Laufe des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung unter Beeinflussung und Abgrenzung weiter – und auseinander – entwickelt.

Trotz der grundlegenden Differenz, dass Juden die erstmalige Ankunft des Messias und Christen dessen Wiederkunft (oder Parusie) erwarten, weil sie Jesus von Nazareth als den Messias, den Christus – latinisierte Form von Christos, sprich die altgriechische Übersetzung des hebräischen Maschiach («Messias»), des «Gesalbten» –, identifizierten, weist der Messianismus im Judentum und im Christentum Strukturanalogien auf. Dies etwa hinsichtlich der Fragen der Beteiligung des Menschen am endzeitlichen Geschehen oder des Verhältnisses der eschatologischen Vollendung zur irdischen Welt. Die eine eher «quietistische» Ausprägung findet sich vor allem im rabbinischen Judentum sowie im grosskirchlichen Christentum und rechnet mit einer von Gott gewirkten Transformation der irdischen Welt am jüngsten Tag. Die andere geht von einer quasi natürlichen Entwicklung hin zu einer neuen Welt und einer erneuerten Menschheit aus, wobei dem Menschen eine gewisse Mitwirkungsfunktion zukommt. Wichtig für die Ausprägung der jüdischen messianischen Vorstellungen sind die geschichtlichen Perioden der nachexilischen Zeit bis zur römischen Besatzung, der Anfänge des rabbinischen Judentums bis in die frühe Neuzeit und der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. In der Entwicklung der christlichen messianischen Vorstellungen sind es die Perioden der sogenannten konstantinischen Wende, des Hochmittelalters, der Reformationszeit und des Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts erfährt der christliche Messianismus eine neue Belebung mit dem Aufkommen der Freikirchen und der evangelikalen Bewegung.

Nach jüdischer Vorstellung ist es die Rolle des Messias, das Volk Israel vom Joch der Unterdrückung und der Verfolgung zu befreien, die Verbannten und Verstreuten zu sammeln, den Tempel aufzubauen sowie den universellen Frieden zu bringen. Nach der Rückkehr von Juden aus Babylon nach Jerusalem steht der Tempel im Mittelpunkt messianischer Erwartungen. Im Laufe der Zeit
werden Jerusalem und Tempel zur eschatologischen Chiffre, wobei die Erwartung der Rückkehr bzw. des Wiederaufbaus immer weniger eine konkrete politische Möglichkeit wird. Für die Mehrheit der Rabbinen gehört die Erwartung an den am Ende der Zeit kommenden Messias zu den wichtigen Glaubensgrundsätzen. In der Zwischenzeit soll das Volk Israel die Tora einhalten und deren Gebote praktizieren. Dabei gab es auch innerrabbinische Debatten, ob ein tatkräftiges und frommes religiöses Verhalten das Kommen des Messias beschleunige; ebenso überlebten auch mehr aktivistisch-eschatologische Positionen und mit ihnen apokalyptisches Gedankengut aus der Spätantike im rabbinischen Judentum. Die passiv wartende Haltung hatte mehr oder weniger Bestand bis zur Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492. Diese wurde als Katastrophe erlebt, die sich als Katalysator für das Erstarken der messianischen Erwartung und das Auftreten verschiedener messianischer Bewegungen erwies.

Während im Judentum der Begriff Messianismus für die gesamte Geschichte Gültigkeit hat, ist für das Christentum nach seiner Frühzeit der Begriff Chiliasmus (oder Millenarismus) präziser. Solange das frühe Christentum noch die Naherwartung der Wiederkunft Christi kannte, war es messianisch. Als das Mehrheitschristentum ab der konstantinischen Wende ein positiveres Verhältnis zum Staat und den weltlichen Dingen entwickelte, wurde die Erwartung der Wiederkunft Christi nicht mehr als unmittelbar bevorstehend betrachtet. Der christliche Messianismus wandelte sich
dann innerhalb einer Minderheit zum chiliastischen Messianismus bzw. zum Chiliasmus, der auf der Offenbarung des Johannes (Kapitel 20) und indirekt auf einer gewissen Idee der jüdischen Apokalyptik basierte. Der Chiliasmus bedeutet die Erwartung einer tausendjährigen, besonders qualifizierten Zeit auf Erden unter der Herrschaft Christi. Dabei gab es zwei Ausprägungen des Chiliasmus: die dominierendere und hinsichtlich des menschlichen Einsatzes für das Reich Gottes optimistischere post-millenaristische Richtung erwartete die Wiederkunft Christi am Ende des tausendjährigen Reiches, die «apokalyptischere» prämillenaristische Richtung vorher. Der Chiliasmus wurde insbesondere ab dem 17. Jahrhundert im Pietismus (im englischen Puritanismus schon ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) und dann darüber hinaus in breiteren kirchlichen Kreisen wirksam. Als Voraussetzungen für den Anbruch des Reiches Gottes wurden dabei im Rückgriff auf Paulus (Röm 11,25) die Bekehrung des Volkes Israels am Ende der Zeiten und der Fall Babels (päpstliches Rom) angesehen (aktive Judenmission wurde gleichwohl nicht von allen Pietisten befürwortet). Pietistischen Christen und zahlreichen Juden war die Erwartung der Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden durch den Messias gemeinsam.

Im 20. Jahrhundert nach der Schoa, der Gründung des Staates Israel und den Kriegen zwischen Israel und den arabischen Staaten 1967 und 1973 wurden messianische bzw. chiliastische Vorstellungen zum Deutungshorizont zahlreicher Juden und Christen für die Gegenwart. Die Endzeit wird als imminent betrachtet. Auch auf diesem Hintergrund sind die jüdische Siedlerbewegung und ein «christlicher Zionismus» zu verstehen. Dies wirkt bis in die Tagespolitik hinein.

Palästina

Palästina wird heute als historischer, politischer und geographischer Begriff gebraucht. Je nachdem, wer ihn in welchem Kontext verwendet, klingen Sympathien, historische und politische Ansichten, Bekenntnisse, Identitäten und Ansprüche mit. «Palästina» hat weder für Juden, noch für Christen oder Muslime eine theologische Bedeutung. Unweigerlich werden mit dem Begriff
Palästina aber starke Empfindlichkeiten geweckt.

Historisch-geografische Betrachtung

Biblische Zeit

In der Septuaginta (griechische Übersetzung des Tenach aus der Zeit vor und nach der Zeitenwende) findet sich in Josua 13,2 der Begriff Philistiim (Φιλιστιιμ) als Bezeichnung des Landes, in dem Philister wohnen. Philo und Flavius Josephus nennen die Bewohner des Landes Philistinoi (Φιλιστιvοί). Hier wird altgriechisch Philistinoi als Ableitung des hebräischen Begriffs Pleschet ( ) verwendet, was «Land der Philister» heisst. Als Pleschet wurde ursprünglich nur die Küstenebene südlich von Jaffa bezeichnet.

Unter römischer Herrschaft: Der Begriff Palæstina als politische Waffe gegen die jüdischen Herrschaftsansprüche in Judäa

Nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstands benannte der römische Kaiser Hadrian im Jahre 135 das ganze Land, in dem die Juden wohnten, nach dem zu dieser Zeit nicht mehr gebräuchlichen Namen Palæstina (abgeleitet vom altgriechischen Philistinoi) für die gesamte Provinz Judæa. Der Namen des Landes Judäa sollte getilgt werden, um jede Erinnerung daran und an
eine jüdische Souveränität auszulöschen. So klingt es zumindest in der jüdischen kollektiven Erinnerung.

Islamische Zeit: Das Gebiet als Teil mehrerer regionaler Einheiten

Als im Zuge der islamischen Expansion die Region im 7. Jahrhundert dem muslimischen Herrschaftsbereich eingegliedert wurde, teilten die Osmanen das Land in Militärdistrikte auf. Das Gebiet, das den grossen Teil der römischen Provinz Judæa (später eben Palæstina genannt) bildete, erhielt die arabischen Namen Djund Urdun (Jordanien) und Djund Dimashq (Damaskus). Die türkische Bezeichnung Filistin taucht im osmanischen Herrschaftsgebiet nur untergeordnet auf. Als politischer Begriff wurde er aber kaum verwendet.

Mandatszeit: Der Begriff Palästina als geografische Bezeichnung wird wiederentdeckt

Die Briten verwendeten den Namen Palästina erstmals im 20. Jahrhundert für das Mandatsgebiet, das seinerseits in das kleinere Cisjordanien (neulateinisch für diesseits des Jordanflusses) vom Jordanfluss westwärts bis zum Mittelmeer und das grössere Transjordanien (jenseits des Jordanflusses) im Osten aufgeteilt war. Die auf dem Mandatsgebiet lebenden Juden nannten es auf Hebräisch Palestina ( ), die Araber auf Arabisch Falastin ( ).

Nach der Gründung des Staates Israel

Mit der Gründung der Staaten Israel auf der Westseite und Jordanien auf der Ostseite des Jordans und insbesondere mit der Übernahme der Gebiete der heutigen Westbank durch Jordanien im Jahr 1948 wurde der Begriff Palästina zunehmend politisiert. Er verlor seine rein geografische Bedeutung. Dennoch wurde zur Beschreibung des geografischen Begriffs des Landes zwischen Jordan und Mittelmeer und südlich von Libanon immer öfter die an der britischen Grenzziehung angelehnte Bezeichnung Palästina verwendet. Die in Israel, der Westbank und Gaza lebenden Araber nannten das Land aber weiterhin auf Arabisch Falastin.

Politische Betrachtung: Die Politisierung des Begriffs Palästina

Nach dem Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967, als Israel die Westbank von Jordanien und unter anderem auch den Gazastreifen von Ägypten eroberte, erhielt der Begriff Falastin eine neue politische Dimension. Der Gebrauch des Begriffs in seiner lateinischen Übersetzung Palæstina in Kreisen, die sich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Entkolonisierung einsetzten, hatte zudem in den Ohren mancher jüdischer Personen einen besonderen Unterton. Spätestens mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) erhielt der Begriff Palästina in jeder Sprache aus jüdischer Sicht eine bedrohliche Komponente. Begründet kann dies durch die Tatsache werden, dass die PLO bis in die 1980er-Jahre das Ziel verfolgte, den Staat Israel zu zerstören und an seiner Stelle einen
palästinensisch-arabischen Staat zu errichten.

Der Begriff Palästina als Bedrohung der jüdischen Existenz

Wegen der jüdischen Erfahrungen im Verlauf der Geschichte (angefangen bei Hadrians Absicht mit dem Begriff Palæstina die Erinnerung an die jüdische Herrschaft auszulöschen und insbesondere wegen des Traumas des Holocaust) empfinden manche Juden den Begriff Palästina in mehrfacher Hinsicht (historisch und aktuell politisch) als Bedrohung der jüdischen Existenz, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch auf der ganzen Welt. An den Begriff Palästina bleibt bis heute die jüdische «Vernichtungsangst» gekoppelt.

Die Geburt des Begriffs der Palästinenser

Nach 1967 etablierte sich in Europa der Begriff der Palästinenser, zunächst ohne damit die Idee an einen zu schaffenden Staat Palästina zu verbinden. Als Palästinenser wurden in erster Linie Menschen bezeichnet, die aus dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan stammten, insofern sie nicht jüdische Bürger des Staates Israel waren. Den Christen in der Schweiz wurde es nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und dem Libanonfeldzug 1982 bewusst, dass es neben den Kirchen des 1. Jahrhunderts unter den Palästinensern auch eine christliche Minderheit gibt. So entstand eine Solidarität mit Christen unter den Palästinensern, die auch die Einstellung von weiten Kreisen der christlichen Bevölkerung der Schweiz zum modernen Staat Israel veränderte.

Nach den Friedensgesprächen von Oslo

Nach den Friedensgesprächen von Oslo im Jahr 1993 und der Gründung der palästinensischen Autonomiebehörde erhielt der politische Begriff Palästina eine neue Dimension. Der Begriff stand fortan im politischen Diskurs für einen noch zu schaffenden Staat in der Westbank und in Gaza. Je nachdem, wer den Begriff auf palästinensischer Seite verwendete, hatte er eine andere Bedeutung. Vertreter der radikalislamischen Seite brauchten den Begriff Falastin weiterhin als Bezeichnung eines islamischen Staates zwischen Mittelmeer und Jordan und beriefen sich auf die historische islamische Herrschaft in diesem Gebiet. Vertreter der Autonomiebehörde verwendeten den Begriff nicht immer klar umrissen: Während sie auf Englisch von Palestinian State sprachen, nannten sie das Gebiet auf Arabisch weiterhin Falastin, was in den Ohren mancher Israeli klingt, als sei ein palästinensisch-arabischer Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan das Ziel.

Suche nach wertneutralen Sprachregelungen

Im Hebräischen existieren seit fünf Jahrzehnten zwei «Palästina»-Bezeichnungen. Mit Palestina ( ) wird das britische Mandatsgebiet umschrieben. Mit Falastin ( ) der palästinensische Staat aus einer palästinensischen Optik vor den Friedensgesprächen von Oslo. Spricht man in Israel vom künftigen palästinensischen Staat, verwendet man den Begriff Staat der Palästinenser (auf Englisch: Palestinian State; auf Deutsch: Palästinenser-Staat). Diese Bezeichnung setzt sich auch im deutschen Sprachgebrauch immer mehr durch.

Empfehlung zur differenzierten Verwendung der Begriffe

Aus Sicht des christlich-jüdischen Dialogs wäre es von Vorteil, den Begriff Palästina, möglichst nicht in seiner politischen Bedeutung zu verwenden. Die Begriffe Palästinenser-Staat oder palästinensischer Staat wären im politischen Kontext die differenzierteren Begriffe. In den Medien und unter Politikern dominiert bereits der Gebrauch dieser Begriffe.

Volk Israel

Wenn vom Volk Israel (‘Am Israel) die Rede ist, kann sehr Unterschiedliches gemeint sein. Die Verwendung der Bezeichnung Volk Israel führt deshalb häufig zu Missverständnissen. Es ist folglich wichtig, die verschiedenen Bedeutungen der Bezeichnung klar voneinander zu unterscheiden. Je nach Kontext kann der Ausdruck Volk Israel eine ethnische, eine religiöse, eine nationale oder eine kulturelle Bedeutung haben. Manchmal wird er nur in einem, häufig aber gleichzeitig in mehreren dieser Sinne verwendet. Zudem gewinnt der Begriff Volk Israel in der christlichen Tradition und
Theologie eine heilsgeschichtliche Bedeutung.

«Israel» als Volk

Mit dem Volk Israel kann in jüdischen Quellen die Gemeinschaft der Menschen gemeint sein, die eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Vergangenheit, und damit verbunden ein gemeinsames Erbe hat. Dieses Erbe wird oft Tradition genannt.

Die Geschichte des Volkes Israel beginnt, gemäss der Tora, mit dem Auszug aus Ägypten, führt das Volk ins Land Kanaan, in die babylonische Diaspora, kurz danach zurück in sein Land, nochmals in eine – diesmal lange und leidvolle – Diaspora, um einen Teil des Volkes wieder in sein Land zurückkehren zu lassen.

Gemäss dieser Bezeichnung wird die Zugehörigkeit zum Volk Israel primär durch die Geburt bestimmt. Die Zugehörigkeit entsteht somit vorwiegend auf eine passive Art.

«Israel» als Religion

Mit Volk Israel ist hier der Glaube, das religiöse Bekenntnis, gemeint. Die zu dieser Bezeichnung verwendeten Adjektive sind «jüdisch» oder «israelitisch».

Die Zugehörigkeit zum Volk Israel wird hier durch die Tora, die religiöse Tradition, bestimmt. Zum Volk Israel gehört der Jude, der die Tora akzeptiert und bereit ist, gemäss ihren Vorschriften, Werten und Zielen zu leben. Diese Zugehörigkeit ist somit eine eher aktive, von innen her bestimmte Zugehörigkeit.

«Israel» als Staat

Israel ist heute auch die Bezeichnung für den 1948 gegründeten Staat Israel. In dieser Bedeutung ist mit «Volk Israel» die Bevölkerung des Staates Israel, die Israelis, gemeint. Als Adjektiv wird hier «israelisch» verwendet.

Die Zugehörigkeit ist in diesem Fall durch den Wohnort bestimmt. Vor allem hier wird klar, wie wichtig eine eindeutige Verwendung der Bezeichnung Israel ist. Denn viele Israelis sind jüdisch, israelitisch. Aber es gibt auch Israelis, die anderen religiösen oder ethnischen Gemeinschaften gehören. Andererseits wiederum gibt es – ausserhalb von Israel – viele, die jüdisch, aber keine Israelis sind.

«Israel» als Kultur

Seit der Moderne wird die Bezeichnung Israel auch auf eine weitere Art verwendet. In der Kunst und Literatur etwa, in der Philosophie und Ethik wird vom Erbe vom Volk Israel gesprochen, ohne dass damit etwas Ethnisches, Religiöses oder Nationales gemeint ist, sondern etwas rein Kulturelles.

«Israel» als berufenes Volk Gottes

Gemäss dem Alten Testament wird das Wort «Volk» für Israel als Volk Gottes, sprich das erwählte Volk verwendet, das sich Gott durch den Bund geschaffen hat. Trotzdem wird schon im Neuen Testament die Bezeichnung Israels als Volk Gottes zunehmend auf die christliche Gemeinde bzw. die Kirche im Sinne der Versammlung der von Gott aus der Welt Herausgerufenen (ekklesia, das griechische Wort für Kirche, kommt vom Verb ek-kalein: «herausrufen») übertragen.

In der christlichen Theologie wird das Volk Gottes der aus Juden und Heiden bestehenden christlichen Gemeinde zentraler Gegenstand der Heilsgeschichte. Man merkt aber eine Verschiebung mit der Substitutionstheologie. Diese Theologie wird auch Ersatz-, Ersetzungs-, Enterbungs-, Verwerfungs-, Verdrängungs-, Enteignungstheologie oder Superzessionismus (auf Englisch: supersessionism, abgeleitet vom lateinischen sedere: «sitzen», und super: «auf») genannt. Sie behauptet, das «geistliche Israel» der Gnade des Evangeliums hätte das «fleischliche Israel» des Gesetzes Moses ersetzt. Im Rahmen dieser Substitutionstheologie wird die Kirche zum verus Israel, zum «wahren Israel», zum «neuen» Volk Gottes erklärt. In der christlichen Tradition kannte die Substitutionstheologie im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Modelle, von denen heutzutage noch einige vertreten werden, in erster Linie durch evangelikale Christen. Letzteres erklärt
auch, warum sich Evangelikale so stark für Israel einsetzen, nämlich weil es ihrer Meinung nach um die Erfüllung von Gottes Verheissungen geht.

Zionismus

Noch bevor sich der uns heute bekannte Zionismus als jüdische Nationalbewegung bildete, existierte im frühen 19. Jahrhundert eine Siedlerbewegung nach Palästina inspiriert durch eine christliche Frömmigkeitsbewegung (Templerorden). Diese Siedler erwarteten das heilbringende eschatologische Geschehen im Heiligen Land. Der zeitgenössische, durch US-amerikanische Evangelikale geprägte «christliche Zionismus» bewegt sich im Horizont derselben und ähnlicher Vorstellungen, die hinsichtlich der Bestimmung des Landes und Staates Israel ältere chiliastische Auffassungen mit einer biblizistischen Schriftauslegung (zum Beispiel Sacharja) verbinden. Sie leiten das Recht der Juden auf das Land unmittelbar aus biblischen Texten ab. Diese Interpretation, die von evangelikalen Christen bis heute vertreten wird, ist nicht frei von Elementen der Substitutionstheologie, die im Widerspruch zu den Prämissen des jüdisch-christlichen Dialogs steht.

Im Judentum entstand der Zionismus im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Zuge des aufkommenden Nationalismus in Europa, welcher den Juden keinen Platz in den Mehrheitsgesellschaften einräumte. Der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts sah eine Einheit von Territorium, nationaler Ursprungsgeschichte und Sprache vor. In verschiedenen Ländern kam es zu anti-jüdischen Ausschreitungen und Pogromen. Der Wiener Journalist Theodor Herzl (1860–1904) kam anlässlich des Prozesses gegen den französischen Hauptmann Alfred Dreyfus, der des Hochverrates angeklagt wurde, zum Schluss, dass das, was als die «Judenfrage» bezeichnet wurde, nur gelöst werden könne, wenn Juden einen eigenen Staat besässen. Aufgrund der historischen Verbindung zum Land Israel, zum osmanischen Palästina, äusserte die 1897 in Basel gegründete zionistische Bewegung die feste Absicht, dass der angedachte Staat auf diesem Gebiet (und nicht, unter anderem, in Argentinien oder Ostafrika, wie in Basel auch erwogen) entstehen sollte.

Der Zionismus ist Ausdruck der emanzipativen Idee, dass Juden ihr Schicksal nicht mehr passiv erdulden, sondern selbst ihre Zukunft gestalten wollen. Der Zionismus ist alles andere als eine homogene Bewegung. Er hat sich im Laufe der Zeit aufgrund historischer Ereignisse verschieden ausgeprägt. Es bestehen Unterschiede betreffend Ziele einer staatlichen Existenz und deren
Priorisierung, der gesellschaftspolitischen und religiösen Orientierungen. Je nach ideologischer Prägung gibt es auch Unterschiede in Bezug auf die Kompromissbereitschaft gegenüber den Palästinensern.