Satelitenaufnahme der Erde

Land Israel, Staat Israel, heiliges Land – Anhänge

Der Arbeitsprozess der Kommission; drei Aufsätze

Die Bedeutung von historisch-theologischen Zugängen für den jüdisch-christlichen Dialog

1. Der Arbeitsprozess der Kommission

Sich der eigenen Verwicklungen, Prägungen, Loyalitäten und Grenzen bewusst zu werden, führte zur Erkenntnis, was bei diesem heiklen Thema alles auf dem Spiel steht: die Verständigung von Juden und Christen in der Schweiz, die Identität der Diaspora-Juden, das Verständnis der Heiligkeit, der Status von Jerusalem, das Verhältnis zum Land Israel, das Wesen des Staates Israel, der Status der seit 1967 von Israel verwalteten Gebiete sowie die Suche nach einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Fragen nicht nur theologischer oder historischer Natur sind, sondern alle im Konflikt involvierten Personen und Gruppen auch existentiell berühren.

Um das Thema von seiner hohen Emotionalität zu entlasten und es sachlich zu behandeln, wurden Zweiergruppen eingesetzt, die sich aus jeweils einem jüdischen und einem evangelischen Mitglied der Kommission zusammensetzten und deren Auftrag es war, einen Begriff gemeinsam zu bearbeiten. Dazu wurde externes Expertenwissen im Rahmen einer 2014 veranstalteten Tagung eingeholt, von der drei Beiträge im Anhang II bei- gelegt wurden. Das Thema mit Distanz zu analysieren ermöglichte es, nicht nur die persönlichen Vorstellungen zu entemotionalisieren, sondern auch die Fragestellungen und Herausforderungen wahrzunehmen und zu benennen.

Bei ihrem Vorgehen stellte sich der Kommission eine dreifache Schwierigkeit:

  • erstens: der Umgang mit der Geschichte. Diese belastet die Beziehungen zwischen Juden und Christen stark und der Umgang mit ihr bestimmt die Existenz des Staats Israel und dessen Zukunft. Die Ausgrenzungs- und Verfolgungserfahrung hat über Generationen hinweg das jüdische kollektive Gedächtnis so tief geprägt, dass jede Bemühung, sie zu überwinden, als Ablehnung und Verneinung der jüdischen Identität wahrgenommen werde kann;
  • zweitens: das emotionale Eingebundensein, sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite. Diese emotionale Ebene ist ebenfalls zum Teil historisch bestimmt. Für Juden wird die mehr oder weniger starke Beziehung zum Land Israel durch tägliche Gebete, Toratexte, die rabbinisch-talmudische Literatur, persönliche Überzeugungen sowie Verwandtschaftsverhältnisse mitbestimmt. Als Zufluchtsstätte kommt der Staat Israel Sicherheitsbedürfnisse der Juden entgegen und ruft gleichzeitig ein Gefühl des Stolzes hervor. Aus diesen Gründen reagieren Juden sensibel, wenn es um den Staat Israel geht.

Viele Christen stehen in einer spirituellen Verbundenheit zum Land Israel, ausgelöst durch biblische Erzählungen aus der Sonntagsschulzeit, das Wandern in den Fussstapfen Jesu im Heiligen Land, Pilgerfahrten oder durch die Überzeugung, mit der Gründung des Staates Israel an der Verwirklichung von Gottes Plan teilzunehmen. Einige sehen darin sogar die Erfüllung der biblischen Verheissungen. Die 2000- jährige Existenz von Kirchen vor Ort, inklusiv denjenigen der christlichen Palästinenser, spielt auch eine wichtige Rolle. Viele Christen engagieren sich für einen gerechten Frieden für alle in der Region. Manche Christen nehmen nur die erlittene Ungerechtigkeit jener Seite wahr, mit der sie sich solidarisch zeigen;

  • drittens: die Schwierigkeit, die einschlägigen Begriffe zu erläutern. Bei der Formulierung klarer Begriffe muss man nicht nur deren Vieldeutigkeit wahrnehmen, sondern sich auch bewusst sein, dass sie von den Gesprächspartnern oftmals unterschiedlich definiert und interpretiert werden. Solch eine anspruchsvolle Aufklärungsarbeit verlangt Genauigkeit und Sorgfalt, um die Mehrdeutigkeit erfassen und darstellen zu können.

2. Aufsätze

Land Israel, Heiliges Land, Staat Israel – historisch-theologische Zugänge*

Roland Deines**

Einleitung

Im September 2005 hatte ich das Vergnügen, auf einer vergleichbaren Tagung den Vortrag zu halten über «Die Bedeutung des Landes Israel in christlicher Perspektive», der im darauffolgenden Jahr in einer erweiterten Fassung dann auch in der Zeitschrift Judaica erschienen ist.1 Darin ist so ziemlich das enthalten, was ich zu diesem Thema beisteuern kann, und seit damals hat sich – so mein Eindruck, der allerdings nur bedingt das Ergebnis intensiver Recherche oder Lektüre ist – nicht wirklich etwas verändert. Etwas überrascht war ich da- rum, dass ich noch einmal zu einer Tagung hierher in die Schweiz in einem vergleichbaren Rahmen eingeladen wurde, denn seit dieser Zeit habe ich mich mit diesem Thema nicht mehr öffentlich beschäftigt. Und, unter uns gesagt, auch nicht privat. Im Sommer 2006 bin ich nach England gezogen und ich bin dort, anders als in meiner schwäbischen Heimat, noch nie mit den speziellen Fragen nach Israel und seiner theologischen und geistlichen Bedeutung im Welt- und Endzeitgeschehen konfrontiert worden. Um es anders auszudrücken: Nach meiner, zugegebenermassen sehr subjektiven Erfahrung, kann man in England Christ sein, ohne zu Israel und der Landfrage in Vergangenheit und Gegenwart Stellung nehmen zu müssen.2 Das kann man in Deutschland (und ich nehme mal an, auch in der Schweiz) natürlich auch. Aber es ist nicht so einfach, wenn man wie in meinem Fall als jemand wahrgenommen wird, der «etwas mit Israel zu tun hat». Ich kam im Sommer 1990 zum ersten Mal nach Israel für ein Studienjahr an der Hebräischen Universität, drei Tage bevor Saddam Hussein in Kuwait einmarschierte und dann im Januar 1991 der erste Golfkrieg ausbrach. Im Jahr 1997 / 98 habe ich noch einmal ein Jahr in Jerusalem verbracht, und nach 2004 insgesamt vier Semester an der Ben Gurion Universität in Beer Sheva Neues Testament unterrichtet. In den Jahren dazwischen war ich regel- mässig in Israel, unter anderem mit verschiedenen Reisegruppen. Ich setze diesen biographischen Rahmen, um zu erklären, warum in meinem Fall zum Theologesein die Frage nach Israel in Vergangenheit und Gegenwart dazugehört. So lange ich in Deutschland lebte, war ich des Öfteren bei Pfarrkonferenzen, Kirchen- gemeinden und Gemeindekreisen eingeladen, um über das Thema Israel zu referieren.

Dabei kam es dann durchaus vor, dass ich vorab gebeten wurde, bestimmten «Brüdern» dies oder jenes zu sagen. Bei einer dieser Gelegenheiten bekam ich von einem besorgten Pfarrer einen Brief. Darin schrieb er mir, dass er schon seit längerem mit einem Amtsbruder im Gespräch sei, der «immer noch überzeugt» sei, «dass die Verheissungen Gottes, die einst für das Land Juda [sic] den Juden in der Babylonischen Gefangenschaft gegeben worden waren, genau so den Juden in der Gegenwart gilt.» Weiter heisst es in dem Brief: «Er und andere Brüder sehen nicht ein, dass Gott diese Verheissungen längst eingelöst hatte, nachdem Cyrus ab dem Jahre 539 die Heimkehr in ihre Heimat erlaubt hätte.» Er fährt dann fort zu klären, unter Ver- weis auf 2. Korinther 1,20), dass «alle Verheissungen Gottes […] in Christus erfüllt sind», woraus zu schliessen sei, «dass die Verheissungen auf das Land hin- fällig sind.» Letzteres Argument wird untermauert mit dem Hinweis, dass zwar Paulus die Verheissungen Gottes an Abraham (zu denen die Landnahmeverheissung gehört) kenne und auch zitiere, er aber an keiner Stelle auf die Landverheissung eingehe. Der Brief schliesst mit der freundlichen Bitte, dass ich «diese theologische Sicht den Amtsbrüdern» vorlegen könne. Unausgesprochen im Hintergrund steht – um sie davon zu befreien. Der sich in diesem Brief (der nun auch schon immerhin 15 Jahre alt ist) abzeichnende Konflikt ist symptomatisch für eine Spaltung innerhalb der jedenfalls deutschsprachigen evangelischen Christenheit, wenn es um das Land und den gegenwärtigen Staat Israel geht.

In England bin ich dagegen in den letzten beinahe acht Jahren nie auf dieses Thema angesprochen worden, und selbst als ich mit Studierenden in Israel war, kamen diese Fragen so gut wie nie auf. Auch von evangelikaler Seite aus, wo in Deutschland und der Schweiz die Frage nach Israel zumindest in manchen Landstrichen und Gemeinden eine Frage nach dem rechten Glauben werden kann, ist das Thema «Land Israel» in England nach meiner Erfahrung wenig im Blick. Insgesamt (erneut: das ist eine pauschalisierende Aussage, die mit Vorsicht zu werten ist) ist jedoch mein Eindruck, dass der Staat Israel in Grossbritannien sehr viel kritischer wahrgenommen und massiver kritisiert wird als in Deutschland, und das gilt sowohl für die kirchlichen wie die säkularen Medien.3 In meinen ersten Jahren war ich regelmässig geschockt, was in Grossbritannien in den Zeitungen öffentlich gesagt werden darf, aber daran habe ich mich inzwischen gewöhnt: shame and blame mit Namensnennung gehört dort zu den akzeptierten Formen öffentlicher Auseinandersetzung. Darum ist auch die Bereitschaft, sich an einem wirtschaftlichen und akademischen Boykott Israels zu beteiligen, deutlich höher und die christlichen Stimmen, die dagegen stimmen, sind weniger deutlich vernehmbar.

Das ist einer der Gründe, weshalb ich an diesem Thema in den letzten Jahren nicht «dran» geblieben bin, und warum ich gewisse Hemmungen hatte (und immer noch habe), für diesen Vortrag zuzustimmen. Nach beinahe 25 Jahren, in denen ich mich mal mehr, mal weniger, für die Situation in Israel interessiere, erscheint mir die Situation inzwischen so festgefahren und in einem ständigen Wiederholungskreislauf gefangen, dass ich diese Frage so weit als möglich vermeide. Im Grunde müssten alle Parteien im Nahen Osten akzeptieren, was Europa mühsam während des Dreissigjährigen Krieges lernen musste: diese Fragen müssen angegangen werden unter der Frage etsi deus non daretur (Hugo Grotius), d. h. pragmatisch und ohne religiöse Begründungen für das politische Handeln.4 Aber dies scheint mir im Nahen Osten derzeit eine Unmöglichkeit zu sein, auch wenn ich überzeugt bin, dass auch heute wieder, wie schon im Dreissigjährigen Krieg, Religion vielfach nur der Vorwand ist, um eine politische Agenda durchzusetzen und zu legitimieren. Protestanten können darum nur insoweit zu dieser Frage beitragen, dass sie darauf hinweisen, dass das Heil nicht an heilige Orte jedweder Art gebunden ist, und dass kein Ort aus religiösen Gründen es wert ist, dass dafür gestorben wird. «Gott will es» ist ein gefährlicher Satz und eine gefährliche Waffe in der Hand von religiösen Führern oder Politikern, die auf religiöse Motivation bauen. Theologisch ist die sich dahinter verbergende Gewissheit kritisch und der Sache angemessen zu hinterfragen. In einer gefallenen Welt kann niemand für sich in Anspruch nehmen, die Stimme Gottes unvermischt mit eigenem Wollen und Denken zu hören oder Gottes Willen zu kennen. Das protestantische Schriftprinzip verweist auf die Heilige Schrift als ein Gegenüber, das Gottes Willen bezeugt, aber daraus lassen sich keine konkreten politischen Handlungsanweisungen ableiten für Ereignisse, die in einer Zeit handeln, die von der biblischen Offenbarung nicht in derselben Weise kommentiert ist, wie dies für die biblische Geschichte geglaubt wird. Die Religionsgeschichte zeigt erschreckend deutlich, wohin es führt, wenn politischer Machtwille durch religiöse Legitimationen totalitäre Züge annimmt. Denn wenn Gott es will, kann der Mensch es nicht länger mehr nicht wollen. Die Grenzen zum religiösen Totalitarismus sind dann schnell überschritten, denn diejenigen, die dem als Gotteswillen deklarierten Verhalten nicht zu- stimmen, sind dann nicht einfach anderer Meinung oder in einem Irrtum befangen, sondern stellen sich gegen Gottes Willen. Die entscheidende theologische Aufgabe ist es darum, die rechte Balance zu finden zwischen dem Glauben an Gottes zielgerichtetes Handeln in der Geschichte und der notwendigen Zurückhaltung, daraus Handlungsanweisungen für andere abzuleiten.

Das relative Desinteresse an diesem Thema in der Gegenwart

Trotz der Brisanz des Themas innerhalb der protestantischen Tradition ist es in den letzten Jahren eher ruhig geworden. Die einzelnen Positionen existieren weiter, aber das Interesse daran, vor allem aber nicht nur in der jüngeren Generation, hat merklich nachgelassen. Wie ist dies zu erklären?

Die Generationen, die den Zweiten Weltkrieg und die Schoa noch erlebt und erlitten haben, treten von der geschichtlichen Bühne ab. Diejenigen unter ihnen, die sich aufgrund ihres eigenen Erlebens für Versöhnung und Verständnis eingesetzt haben, sind nicht ersetzbar. Ihr authentisches Zeugnis lässt sich nicht wiederholen oder konservieren. Für die jüngere Generation ist die Zeit des Zweiten Weltkriegs Vergangenheit und hat mit der eigenen Lebenswirklichkeit unmittelbar nichts mehr zu tun. Beschäftigung mit Israel, Interesse für die besondere Situation des Staates Israel, sowie eine gesellschaftliche, politische und auch religiöse Verantwortung sind nicht mehr selbstverständlich, sondern müssen geweckt und erklärt werden. In der Wahrnehmung vieler Jüngerer ist Israel von einem Land für die Unterdrückten zu einem Land der Unterdrücker geworden.

Das Thema «Israel» ist, man wagt es kaum zu sagen, «langweilig» geworden, nicht zuletzt weil sich der Eindruck verhärtet, dass sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nichts wirklich verändert hat. Liest man heute die Bücher zur Staatsfrage und zum Palästinakonflikt, die von Walter Zimmerli, Markus Barth oder Friedrich-Wilhelm Marquardt in dieser Zeit geschrieben wurden, dann stellt man staunend fest, dass sie in ihren Problemanzeigen noch immer erstaunlich aktuell sind.5 Ein weiterer Grund für das Desinteresse am Israel-Palästina-Konflikt6 scheint mir zu sein, dass es weder eine politische noch eine theologische Vision gibt, wie dieser Konflikt gelöst werden könnte. Status- quo-Verwaltung bei Minimierung von Blutvergiessen und Ungerechtigkeiten scheint das Maximum zu sein, dass man sich noch vorstellen kann. Die grossen Hoffnungen, wie sie kurz nach dem Oslo-Abkommen 1993 aufgekommen sind, sind verflogen und keiner der gegenwärtig aktiven political players in Israel oder Palästina vermag es, auch nur ansatzweise Erwartungen auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden zu wecken.

Auch kirchlicherseits (womit ich hier vorrangig die grossen Landeskirchen meine) hat sich das Thema eher zur Pflichtveranstaltung entwickelt, das regelmässig auf die Tagungsordnung gesetzt wird, weil es eben mal wieder «dran» ist, aber nicht, weil man sich wirklich neue Impulse oder Einsichten erwartet. Damit reiht es sich ein in eine Liste von Themen (Ökumene, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Zweidrittel-Welt), die zwar mit der Kirche und kirchlicher Bildungsarbeit regelmässig in Verbindung gebracht werden, die aber keine Breitenwirkung mehr entfalten, wie dies noch in den 70er und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war.

Selbst in evangelikal-pietistischen Kreisen, die traditionell ein starkes Interesse an Israel (oft in Verbindung mit den sogenannten Endzeitfragen) haben, verliert das Thema an Bedeutung. Sogenannte Israeltage sind Veranstaltungen für die eher über 60-Jährigen, und auch das Interesse an Israelreisen, Kibbutz-Aufenthalten, Studium oder einem sozialen Jahr in Israel scheinen mir ebenfalls auf dem Rückgang begriffen zu sein, ohne dass ich dies mit harten Zahlen untermauern könnte. Es wäre spannend, die entsprechende kirchlichen Nachrichtenquellen, Magazine (etwa ideaSpectrum) und Gemeindeliteratur daraufhin zu untersuchen um festzustellen, ob sich quantitativ und themenbezogen Veränderungen feststellen lassen.

Einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden protestantischen Flügeln scheint es mir aber doch zu geben, und das ist die Konkretheit und Unmittelbarkeit, mit der das Thema behandelt wird. Der christliche Zionismus sieht Gott in Israel (dem Volk und dem gegenwärtigen Staat) am Werk. Das Wirken Gottes an und für Israel hat direkt mit der eigenen Glaubenswirklichkeit zu tun. Kurz vor der Tagung der Evangelisch-Jüdischen Gesprächskommission fand eine von der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem (ICEJ) veranstaltete Tagung in Stuttgart unter dem Thema «Wiederherstellung» statt (29. März 2014).7 In der Einladung dazu hiess es: «Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch ein neues Wirken des Heiligen Geistes. Weltweit sind gewaltige geistliche Aufbrüche zu beobachten. Der Heilige Geist überschreitet menschliche Begrenzungen und Schranken.» Ein wichtiges Element die- ses geistlichen Aufbruchs ist dabei die Geschichte des jüdischen Volkes: «Der edle Ölbaum treibt wieder Äste! Die Rückkehr der Juden in ihr von Gott versprochenes Land und die Wiederherstellung des modernen Staates Israels ist eine Initiative des Himmels. Gottes prophetisches Wort entfaltet sich vor unseren Augen. […] Gott ruft uns und möchte uns in stärkerer und kraft- vollerer Weise in seine Pläne einbeziehen. Jung und Alt – gemeinsam!» Die Konferenz verspricht darüber hinaus «eine klare Sicht über Gottes Handeln mit Israel» zu geben.8 In dem Beitrag «Strebt nach Wiederherstellung!» wird beschrieben, wie nach der «Wiederherstellung der Geistesgaben» im 20. Jahrhundert zuerst die Kirchen und Gemeinden durch die charismatische Bewegung wiederhergestellt wurde; auf dieses erste Wunder folgte mit der Staatsgründung Israels die zweite endzeitliche Wiederherstellung. Nach der vollständigen politischen Wiederherstellung Israels, mit dem Ziel, dass möglichst viele Juden wieder in Israel leben, wird die geistliche Erneuerung erwartet (ohne Einfluss christlicher Mission, was dieser Bewegung ihre Akzeptanz in der israelischen politischen Landschaft ermöglicht). Deshalb wird die jüdische Alija nach Israel von diesen christlichen Gruppen aktiv unterstützt, ebenso wie jüdische Sozialprojekte und Entwicklungsarbeit, ohne dass dabei die religiöse Grenze zwischen Juden und Christen angerührt wird. Die Vollendung der christlichen Gemeinde geht der Gottesgeschichte mit Israel parallel. Es sind zwei Heilswege, die nebeneinander zu dem von Gott gesetzten Ziel laufen. Dabei gibt es Bedrohungen und Bedrängnisse, weshalb es die Aufgabe der Christen ist, ganz auf Israels Seite zu stehen. Am Ende steht dann der Aufruf: «Es gibt immer noch viel Hoffnung für Dich, Deine Familie, Deine Stadt und Deine Nation. Während Gott Israel wiederherstellt, ruft er die Gemeinde dazu auf, aktiv daran mitzuarbeiten.»

Egal wie man sich zu dieser Form des christlichen Zionismus stellt – was man nicht kann ist ihr Engagement und Leidenschaft für Israel abzusprechen.9 Es ist eine Sichtweise, die Gottes konkretes, zielvolles und gegenwärtiges Handeln ernsthaft und tatsächlich in die eigene Glaubenspraxis überführt. Dass dabei die erheblichen theologischen und hermeneutischen Schwierigkeiten, geschichtliche Ereignisse mit Gottes Heilsplan zu korrelieren, übergangen werden, ist ohne Weiteres einzuräumen.10 Diesen Aktivismus und das konkrete Erfahren von Gottes Handeln kann (und will?) die kirchliche Israeltheologie nicht bieten. Der Grund dafür ist, dass die Kirchen insgesamt «Heilsgeschichte» nicht mehr im theologischen Angebot haben und Glaube darum vielfach als abstrakt und abgehoben von der Alltagswirklichkeit erfahren wird.11 Wer soll sich dann für das Thema interessieren? Oder anders gefragt:

Welche Gründe gibt es für Christen, sich mit dem Staat Israel auseinanderzusetzen?

  1. Der Grund dafür ist in Gott selbst zu finden, der als Schöpfer dieser Welt Raum und Zeit eingeräumt hat, damit sie vor ihm sei und er mit ihr. Er hat sich als Schöpfer selbst dazu bestimmt, «mit seiner Schöpfung eine gemeinsame Geschichte zu haben»,12 und, so ist zu ergänzen, auch gemeinsame Orte, da es Geschichte ohne die Dimension des Raumes nicht gibt. Gottes Einwohnung in der Welt, die er geschaffen hat, wurde von den Autoren der Bibel in zweifacher Weise erfahren und zur Sprache gebracht: Als «Einwohnung» Gottes (Schechina-Theologie) bei seinem Volk, im Zelt der Begegnung, im Land und im Tempel in Jerusalem.13 Wenn Israel aus seinem Land vertrieben war, dann waren es die Heiligen Schriften, die die Erinnerung an das Land und den Tempel wachhielten.14 Sie umschlossen die eigene Existenz mit Raum und Zeit der biblischen Welt. Für Christen ist die Verleiblichung Gottes in Jesus, dem jüdischen Mann aus Galiläa (Inkarnation) der Zielpunkt dieser Einwohnungen Gottes bei seinem Volk, und sie erwarten eine bleibende Gemeinschaft mit Gott am Ende dieser Weltzeit in einer neuen Schöpfung (2. Petr 3; Offb 21,1–22,5). Wenn aber Gott der Welt und seinen Geschöpfen vor ihm Zeit und Raum einräumt, dann gibt es eine Geschichte Gottes mit dieser Welt (Heilsgeschichte), dann gibt es aber auch einen konkreten Ort für Gottes Wirken in der Welt, d. h. Heilsgeschichte kann ohne Heilsgeographie nicht gedacht werden. Überblickt man die theologischen Lager, dann zeigt sich, dass da, wo heilsgeschichtliche Theologie eine grosse Rolle spielt (ab dem 19. Jahrhundert in den erwecklich-pietistischen Kreisen), auch die Frage nach Israel und dem jüdischen Volk mit grosser Anteilnahme thematisiert wurde und bis heute wird. Dagegen übt sich die gegenwärtige Theologie in äusserster Zurückhaltung, wenn es darum geht, Gottes Wirken in der Welt konkret zu beschreiben, bzw. lehnt es rundweg ab, geschichtliche Ereignisse theologisch zu deuten. Die endgültige Überwindung solcher vermeintlich verfehlter Identifikationen wird dagegen als theologischer Gewinn gewertet.15 Schon Friedrich- Wilhelm Marquardt hat jedoch darauf hingewiesen, dass die berechtigte Zurückhaltung «gegen die Verquickung christlicher mit politischen Argumenten» eben auch dazu führt, dass die Staatswerdung Israels für die Kirche bzw. christliche Theologie nicht mehr als theologische Herausforderung angesehen wird. Weil er dies als ein Problem empfindet, darum empfiehlt er, «zwischen christlicher Verbrämung von Politik und einem politischen Realismus, der Judentum und Bibelwort real zu nehmen versteht» zu unterscheiden.16

2. Marquardts Aussage erinnert daran, dass nach biblischer Überzeugung der Glaube an Gott den Schöpfer untrennbar mit dem Bekenntnis und der Erwartung verbunden ist, dass Gott in der Geschichte handelt. Die biblische Tradition liefert gleichsam den Kommentar zur Geschichte Gottes von Abraham bis zur Rückführung aus dem Exil, bzw. unter Einbeziehung des Neuen Testaments, bis zur Erfüllung der Abrahamsverheissung durch den Messias Jesus unter allen Völkern. Es ist nun aber im Gefälle dieser Gotteserfahrung, dass sich die Frage nach Gottes Handeln nicht auf die biblische Zeit eingrenzen lässt. Was der Glaube für die biblische Zeit bezeugt, das soll und kann auch in der eigenen Gegenwart erwartet (und manche würden sagen, auch erlebt) werden. Die Kanonisierung der biblischen Schriften ist der Ermöglichungsgrund neuer Erfahrungen mit demselben Gott in veränderter Zeit. Die Frage nach Gottes Willen in der Gegenwart ist theologisch nicht nur legitim sondern schlichtweg unausweichlich. Zwar ist die nachbiblische Geschichte nicht in derselben Weise durch eine Heilige Schrift eindeutig kommentiert, aber das bedeutet nicht, dass die «Heilsgeschichte» mit dem Abschluss des Kanons an ihr Ende gelangt ist.17 Unter diesem Gesichtspunkt bekommt auch die Fragestellung nach dem Land Israel noch einmal eine andere Perspektive, die in meinem früheren Beitrag zum Thema18 zwar anklingt, aber nicht weitergeführt wird, nämlich die Frage, inwieweit die Kirche bzw. einzelne Christen (oder mit anderer Perspektive Juden und noch einmal anders Muslime) in der Landgabe, Landnahme, Landverheissung und im Gefälle davon eben auch in der erneuten Staatswerdung Israels tatsächlich ein Eingreifen/ Beauftragen Gottes sehen (und nicht nur den menschlichen Versuch, der eigenen Volksgeschichte einen religiösen Sinn zu verleihen). Im Hinblick auf das gegenwärtige Israel stehen sich zwei Denkweisen gegenüber (die zugleich bezeugen, dass die Frage nach der Deutung von historischen Ereignissen als Handeln Gottes nicht einfach zurückgewiesen werden kann): Einerseits wird mit Recht festgehalten, dass Gottes Bund mit seinem Volk ungekündigt ist, was dann auch impliziert, dass was immer mit diesem Volk geschieht, in eine theologische (und für manche heilsgeschichtliche) Perspektive rückt.19 Andererseits gibt es die berechtigte Scheu, nicht zuletzt ausgelöst durch die erschreckende heilsgeschichtliche Legitimierung Hitlers in Teilen der deutschen Christenheit, historische Ereignisse in dieser Weise als göttliches Handeln zu bewerten. Dazu kommt die Monstrosität der Schoa, die manche als Ende der Geschichte im herkömmlichen Sinn interpretieren, weil nach der Schoa der Geschichte ihre Sinnhaftigkeit bzw. deren Erkenn- und Deutbarkeit abgesprochen werden müsse. Wer nach der Schoa Geschichte noch zu verstehen meint, der verleihe der versuchten vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums nachträglich Sinn. So nachvollziehbar diese Haltung auch ist, sie impliziert dann auch die Preisgabe eines theologischen Verstehens der Staatsgründung Israels.

In dieser Situation ist es möglicherweise geboten, sich an die Paradoxie Karl Barths im Hinblick auf die christliche Predigt zu erinnern:

Ich möchte diese unsre Situation in folgenden drei Sätzen charakterisieren: Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.20

Mit diesen Sätzen hat Karl Barth in einem Vortrag aus dem Jahr 1922, «Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie», die Aufgabe der Predigt, aber noch viel mehr die Situation der Theologie an der Universität beschrieben. Nach Barth wird die Theologie an der Universität gelitten, weil sie die einzige Fakultät ist, die wenigstens die Frage wachhält, von der sich die anderen Fakultäten fernhalten müssen, nämlich «dass das Ganze, was da getrieben wird, einen Sinn haben möchte.»21 Die Theologie ist nach Barth

tatsächlich von der Erwartung umgeben, dass sie ihres Amtes walte und als Antwort vertrete […], was bei den Andern allen, […] nur als Fragezeichen im Hintergrund steht, als möglich, was sie alle nur als Grenzbegriff, als das Unmögliche kennen dürfen, dass sie von Gott nicht nur flüstere und munkle, sondern rede, auf ihn nicht nur hinweise, sondern von ihm herkommend ihn bezeuge, ihn nicht irgendwo in den Hintergrund, sondern allen methodischen Voraussetzungen, allen Wissenschaften zum Trotz in  den Vordergrund stelle.22

Wenn also Theologie von Gott reden soll, auch wenn sie dies gerade nicht kann, und man von Gott nicht reden kann, ohne das geschichtliche Handeln Gottes in den Blick zu nehmen, dann ist die Beschäftigung damit geboten, trotz aber gerade auch wegen der offenkundigen Irrtümer und Fehlwege in der Geschichte der Theologie. Und sei es nur, um daran zu erinnern, dass auch in dieser Hinsicht gilt, dass alles Erkennen Stück- werk bleibt, aber diese Erkenntnis dennoch nötig ist. Gerade darum ist dann auch die historische und kritische Begleitung theologisch geboten, wo Menschen oder Völker sich in besonderer Weise von Gott beauftragt sehen. Dabei ist es wichtig, nicht in den positivistischen Irrtum zu verfallen, wonach es ein solches Eingreifen Gottes nicht gibt bzw. es unerkennbar sei, wobei noch einmal zu unterscheiden wäre zwischen dem, was man selbst für möglich bzw. wahr hält, und dem, was andere glauben und für wahr halten, und deren religiöse Freiheit dasselbe zu tun, zu achten ist.

Das Land Israel in einer neutestamentlichen Perspektive

Vor allem in Teilen der englischen Jesusforschung wird die historische Mission der geschichtlichen Person Jesus eng mit der Vorstellung einer Restitution des zwölf-Stämme-Volkes Israel verbunden. Dahinter steht die Überzeugung, dass es Jesus um eine Neugründung bzw. Erneuerung Israels ging, wobei seine zwölf Jünger als Repräsentanten dieses eschatologisch rekonstituierten Gottesvolkes galten. Seine Aktion im Tempel (die sogenannte Tempelreinigung) verweist auf sein Interesse einer Rekonstituierung des Tempelkults und der Gewinnung Jerusalem als der «Stadt des grossen Königs». Die Königsherrschaft Gottes ist gedacht als der Beginn einer neuen gerechten und besseren Weltordnung, die sich von Jerusalem aus über die Welt verbreitet. Theologisch steht hinter diesem Ansatz eine Abgrenzung gegenüber einer Spiritualisierung der Reich Gottes-Erwartung zu Gunsten einer konkreten Veränderung und Verbesserung der Welt. «Transformation» ist das neue Leitwort dieser theologischen Bewegung, die von den Kathedern der Universitäten längst viele Gemeinden und Gemeindeseminare, nicht zuletzt in der Schweiz, erfasst hat. Das Reich Gottes als eine konkrete gesellschaftliche Realität wird zur Aufgabe der Gemeinde nach Ostern.

Zu dieser Rekonstruierung Israels als Beginn des eschatologischen Schalom-Zustands der ganzen Welt gehört – insbesondere im einflussreichen Werk des englischen Theologen und ehemaligen anglikanischen Bischofs N. T. (Tom) Wright auch die Vorstellung der Rückführung Israels aus dem Exil.23 Diese zentrale Hoffnung Israels sieht er aus einer neutestamentlichen Perspektive als im Werk von Jesus als geschehen an. Durch die angenommene Rückführung aus dem Exil – wobei dieser Teil von Wrights eindrucksvoller Darstellung eine Menge Widerspruch erfahren hat – ist auch die Landfrage angesprochen. Für Wright, so ist anzunehmen, spielt die gegenwärtige Situation des Landes Israel für christliche Theologie keine Rolle mehr (obwohl er sich zur Frage Israels als dem erwählten Volk und die möglichen Konsequenzen für das christlich-jüdische Verhältnis nicht eigens äussert). Dass es dem geschichtlichen Jesus um das Land ging, wird aber auch in der deutschsprachigen Exegese immer wieder behauptet und exegetisch zu begründen versucht.24 Die dabei herangezogenen Belege sind aber insgesamt doch eher dürftig und in ihrem Aussagegehalt eingeschränkt. Sie stellen zudem allesamt keine Jesusworte dar, die erzählerisch von den Evangelisten als zentrale Aussagen gestaltet sind. Daraus lässt sich immerhin so viel erkennen, dass für die Evangelisten und damit für die neutestamentlichen Gemeinden nach Ostern geotheologische Überzeugungen im Hinblick auf das Land Israel keine oder nur eine ganz untergeordnete Bedeutung besassen. Genannt zu werden verdienen hier:

  • Mt 5,5: «Selig sind die Friedfertigen, denn sie wer- den das Land [Israel] besitzen»;25
  • Mt 4,13–16, Jesu Umzug von Nazareth nach Kapernaum in das Land der Stämme Sebulon und Naphtali,

d. h. in das «Galiläa der Heiden»; angenommen wird, dass das verlorene Nordreich und die am längsten exilierten Stämme als erstes vom Ende des Exils und dem Anbrechen der neuen Heilszeit erfahren;

  • die Tempelreinigung als Beginn einer messianischen Reinigung des Heiligen Landes vom Tempel, als dem kultischen Zentrum, aus.Gegen ein theologisches Landverständnis von Jesus sprechen allerdings zahlreichere und gewichtigere Gründe:
  • die zwölf Jünger repräsentieren nur die Zahl der Stämme als ein ideales Israel; eine geographische Dimension (etwa Angehörige aus allen Hauptregionen des verheissenen Landes) oder eine besondere Auswahl nach Stammeszugehörigkeit ist nicht erkennbar;
  • für eine Landtheologie fehlen Berührungen von Jesus mit den heilsgeographisch entscheidenden Orten von Israels Geschichte. Im biblischen Sprachgebrauch erstreckt sich Israel von Dan bis Beer Sheva, aber Jesus war nie südlich von Jerusalem (sieht man von den Geburtsgeschichten mit Bethlehem und der Flucht nach Ägypten einmal ab). Als «Sohn Abrahams» (Mt 1,1), dem die Landverheissung zuerst gegeben wurde, bewegt er sich zumindest geographisch nicht auf Abrahams Spuren: Hebron zum Beispiel wäre ein entscheidender Ort, weil da Abraham zum ersten Mal einen eigenen Anteil am Land erwarb (die Höhle Machpela als Begräbnisplatz für seine Frau und später ihn selbst). David wurde König über Juda in Hebron und von dort aus erfolgte sein Zug nach Jerusalem, um König über alle zwölf Stämme zu werden; es ist nicht erkennbar, dass Jesus in irgendeiner Weise an diese Traditionen anknüpfen wollte. Jerusalem ist das erklärte Ziel von Galiläa aus, aber nicht in einer politisch motivierten Weise;
    • auch die Bezugnahmen auf Samaria lassen sich nicht als Restitution der einstigen israelitischen Herrschaft deuten, sondern eher als eine symbolhafte Überschreitung der judäischen Grenzen;
    • dafür spricht auch Mt 4,24–25, die vollständigste geographische Bestimmung im ersten Evangelium. Als Einflussgebiet des Täufers wird gerade nicht ein heilsgeographischer Begriff gewählt, sondern ein politischer Verwaltungsname: die römische Provinz Syrien, die mit ihren Teilgebieten detailliert aufgezählt wird. Die Nennung der Dekapolis in diesem Zusammenhang verweist darüber hinaus auf die nichtjüdische Bevölkerung dieses Gebiets;
    • aber selbst wenn man eine Landtheologie für Jesus annehmen könnte und er eine Art neue Landnahme erhoffte oder erwartete, so ist doch in der Überlieferung nach Ostern davon nichts aufgenommen worden;26
    • das Reich Gottes ist in der evangelischen Überlieferung keine politisch-irdische Grösse und wird nicht selten mit dem ewigen Leben in Beziehung gesetzt.27 Die den Jüngern im Matthäusevangelium verheissene Binde- und Lösegewalt (16,19; 18,18) gilt zwar für den Himmel, aber nicht vor einem irdischen Gericht. Da müssen sich die Jünger wegen ihrer Zugehörigkeit zu Jesus verantworten (5,11–12; 10,17–22), ihre eigene richterliche Funktion liegt da- gegen in der eschatologischen Zukunft (19,28). Der reiche Jüngling fragt Jesus nach den Bedingungen für das ewige Leben (19,16) und als die Jünger sich darüber unterhalten, reagiert Jesus mit einer Belehrung über das Eingehen in das Himmelreich (19,23– 24), was von den Jüngern wiederum mit «selig werden» gleichgesetzt wird (19,25). Die Heilige Stadt ist häufiger das himmlische als das irdische Jerusalem (Gal 4,26; Offb 21,2.10, vgl. aber 11,2, wo das irdische Jerusalem so bezeichnet ist; auch in Matthäus 27,53 ist dieses Verständnis möglich), obwohl dasselbe als konkreter Ursprungsort des Evangeliums und Sitz der ersten Gemeinde seine historische Bedeutung behält. Das wird unter anderem an dem Bemühen des Paulus deutlich, die Bezogenheit der von ihm gegründeten Gemeinden in Griechenland und Kleinasien mit der Jerusalemer Gemeinde trotz der bestehenden Spannungen nicht abreissen zu lassen. Aber daraus folgt für ihn gerade nicht eine Art politische Funktion von Jerusalem als Metropolis über die anderen Gemeinden.28 Am Ende steht im Neuen Testament die Erwartung des neuen, himmlischen Jerusalems und die Bürgerschaft im Himmel ist wichtiger als alle irdischen Bürgerrechte, ethnischen oder nationalen Vorzüge (Phil 3,20; vgl. 3,5–7);
  • was im Neuen Testament ebenfalls vollständig fehlt ist jede Form einer Heiligkeitstheologie mit Bezug auf das Land, Jerusalem und den Tempel, wie sie aus Qumran (11QTempelrolle) und der Mischna bekannt sind. Darin geht es um eine von einem geographischen Zentrum ausgehende Heiligkeit, konzentrischen Kreisen ähnlich, die von allen, die sich diesem

«Allerheiligsten» nähern wollen, einen immer höheren Reinheitsgrad verlangt. Die jüdische Tradition, so lässt sich vereinfachend sagen, ist zentripetal, d. h. zur Mitte hin orientiert: Die Rückkehr aus dem Exil nach Jerusalem bildet den Abschluss der Hebräischen Bibel, und innerhalb Jerusalems bildet der Tempel und das Allerheiligste nicht nur den religiösen und nationalen Zentralpunkt, sondern zugleich den «Nabel der Welt».29 In der christlichen Tradition ist Jerusalem die Stadt, in der das neutestamentliche Heilsgeschehen seinen Anfang nahm – mehr nicht. Keine Heiligkeit haftet dem geographischen Ort an, und die Erwähnung Jerusalems im Rahmen eschatologischer Erwartungen setzt keine politische oder Israelbezogene Landtheologie voraus;

  • wie wenig wichtig das Bleiben in Jerusalem theologisch gewertet wurde, zeigen auch die verschiedenen Fluchtbewegungen aus Jerusalem heraus, die in der Apostelgeschichte, aber dann auch bei Hegesipp (bzw. Eusebius) beschrieben werden: Diese sogenannte Flucht nach Pella, d. h. die Flucht der Christen aus Jerusalem zu Beginn des Aufstandes gegen Rom im Jahr 66 wird weder theologisch gedeutet (etwa als ein neues Exil) noch ist damit eine theologische Rückkehrhoffnung verbunden, obwohl man annehmen kann, dass entweder einige Christen in der Stadt verblieben oder nach dem Fall Jerusalems dahin zurückkehrten. Vereinfachend gesagt lässt sich für das frühe Christentum eine zentrifugale Bewegung beobachten: Weg vom Zentrum Jerusalem «bis an die Enden der Erde» (Röm 15,19; vgl. Mt 28,19–20), oh- ne dass daraus jedoch dann wieder eine zentripetale Bewegung würde. Die Erwartung der Völkerwallfahrt zum Zion findet in der christlichen Tradition keine Fortsetzung, eher lässt sich aus Röm 15,16 eine Vorstellung herauslesen, dass die Tempelfunktionen durch die Mission zu den Völkern gebracht werden;
  • die relative Bedeutungslosigkeit des Landes für die christliche Theologie wird auch in dem Themenband des Jahrbuchs für Biblische Theologie deutlich, der dem Heiligen Land gewidmet ist.30 Darin gibt es erwartungsgemäss Aufsätze zum Land in der alttestamentlichen Tradition, und auch zwei zum Neuen Testament, aber kein weiterführender Beitrag, der die gegenwärtige Landfrage einbezieht. Das Thema des Staates Israel kommt einzig in Form eines Interviews mit Jörg Brehmer in den Blick, der für 19 Jahre Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Israel war, als biblisch-theologische Fragestellung dagegen nicht.31

Vielleicht am eindrucksvollsten lässt sich die unterschiedliche Bedeutung des Landes in der jüdischen und christlichen Tradition an der Anordnung der einzelnen Bücher innerhalb des jeweiligen Kanon ablesen. Am Ende der hebräischen Bibel und damit als Ausblick auf das Kommende steht das Kyros-Edikt (2. Chr 36,22– 23). Wer immer zu dem Volk der Judäer gehöre, wird aufgefordert nach Jerusalem zu ziehen und dort dem Herrn ein Haus zu bauen. D. h. Alija, Heimkehr nach Jerusalem und der Wiederaufbau des Tempels bilden das grosse Finale des biblischen Narrativs und es wird lebendig erhalten im Festgruss «Nächstes Jahr in Jerusalem» und der Bitte um Heimkehr ins Land und dem Wiedererrichten des Tempeldienstes im Achtzehnbitten- gebet (Schmone Esre).

Dagegen endet das Alte Testament in der christlichen Bibel (sieht man von den deuterokanonischen Büchern ab) mit dem Buch Maleachi. Die feste Anordnung der einzelnen Bücher ist allerdings eine erst relativ späte und endgültig erst durch den Buchdruck fixierte Entwicklung. Zusätzlich verkompliziert wird der Sachverhalt dadurch, dass es zwischen den einzelnen Konfessionen Schwankungen in Bezug auf die Anzahl der biblischen (alttestamentlichen) Bücher gibt und entsprechend auch deren Reihenfolge variiert (wobei meines Wissens keine christliche Bibel mit dem 2. Chronikbuch endet).32 Dennoch ist deutlich, dass die prophetischen Bücher am Ende des Kanons stehen und hier wiederum Maleachi als der letzte der zwölf kleinen Propheten. Damit aber steht am Ende der Ausblick auf den kommenden Gerichtstag Gottes, das Gericht über den Tempel und die Priesterschaft (aber auch über Israels Feinde), sowie das Kommen des Elijah zur Bereitung des Volkes. Maleachi enthält zudem neben der dominanten Israel-zentrierten Botschaft auch eine die Völker umfassende Gerichts- und Heilsbotschaft (Mal 1,5.14; 3,12). Im protestantischen Kanon folgen auf Maleachi die Evangelien, nach deren Deutung Johannes der Täufer als wiedergekommener Elija den Tag des Herrn vorbereitet. Am Ende des Neuen Testaments steht die Offenbarung des Johannes mit dem Ausblick auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Vor dem Ende steht die Parusie Jesu Christi, die jedoch geographisch nicht verortet wird, obwohl die Offenbarung durchaus einen Jerusalembezug besitzt. Aber auch hier gilt, dass das neue, himmlische Jerusalem wichtiger ist als das gegenwärtig irdische.33

Eine vergleichbare Haltung setzt sich auch in der frühen Kirche fort: Es gibt zwar ein Interesse am Land als Ort der heiligen Geschichte und christliche Autoren produzieren topographische Literatur, bei der konkrete Ortskenntnisse, biblische Geschichte(n) und christliche Gemeindegeschichte miteinander verbunden wer- den, dazu kommen ab dem 4. Jahrhundert Pilgerreisen und Pilgerberichte, die das anhaltende Interesse am Land bezeugen. Aber über diese Zeugenfunktion des Landes hinaus (die durchaus auch kritisch gesehen wurde) gibt es keine theologische Gewichtung des Landes oder irgendwelcher spezieller Orte. Die Parallelität von Heilsgeschichte und Heilsgeographie kann auch hier weiterhelfen: Heilsgeschichte bedeutet nicht die Sakralisierung der Geschichte als ganzer, sondern bestimmte Ereignisse im Geschichtsverlauf werden herausgehoben und sowohl miteinander als auch zu Gottes erwählendem und heilvollem Handeln in Beziehung gesetzt. Diesen Ereignissen selbst haftet keine dingliche Heiligkeit an, sondern sie sind das Widerfahrnis von Gottes Eingreifen im gewöhnlichen Geschichtsverlauf, auch wenn dieser dadurch eine überraschende («wunderliche») Wendung erleben kann. Historisch gesehen sind diese Vorgänge oft unspektakulär, etwa wenn Gott einen der Propheten beruft, einen Menschen durch ein Wunder heilt oder durch ein Vorzeichen seinem Volk wieder Mut macht. In gleicher Weise werden «normale» Orte bedeutsam und Teil einer Heilsgeographie, weil sich Gott an ihnen in besonderer Weise offenbart hat, aber daraus leitet christliche Theologie keine dauerhafte Heiligkeit des Ortes ab. Dass dies jüdischerseits anders gesehen wird und werden kann, ist ausdrücklich festzuhalten, denn da hat Gott das Land erwählt und sich an das Land gebunden – allerdings in einer paradoxen Weise, wie Michael Wyschgorod gezeigt hat. Israel ist demnach das einzige Volk, dass es schon gab, ehe es in sein eigenes Land kam, und das auch dann nicht aufhörte zu existieren, als es aus seinem Land vertrieben war. Dennoch bezeichnet er die Trias «God, Israel, and the land» als «an indissoluble unity». Er vergleicht dann in diesem Aufsatz, «Judaism and the Land», den Unterschied zwischen Christentum und Judentum in Bezug auf eine Landtheologie, und hebt hervor, dass das Christentum (weil es keinen Nationalcharakter besitzt) eine solche nicht braucht, während das Judentum ohne eine solche nicht existieren kann.34

Zusammenfassend lässt sich darum sagen, dass eine Zusammenschau der neutestamentlichen Aussagen zum Land keinen Zweifel daran lässt, dass die Kirche keine Theologie des Landes braucht, weil das Land als Heilsgut weder für die Gegenwart noch für die eschatologische Zukunft für die Kirche als Kirche irgendeine Rolle spielt. Die Universalisierung des Heils und die zentrifugale Bewegung der Mission von Jerusalem in die Welt liess das Land als Erinnerungsort des Anfangsgeschehens zurück, aber nicht als eschatologischen irdischen Zukunftsort.

Anmerkungen

* Für alle Internetquellen erfolgte der letzte Zugriff am 6. Oktober 2018.

** Roland Deines hat evangelische Theologie in Basel und Tübingen studiert und ein Weiterstudium in Jerusalem absol- viert. Er hat im Fachbereich Neues Testament promoviert und habilitiert. Nach Lehrtätigkeiten an den Universitäten Tübingen, Jena, Beer-Sheva und Nottingham ist er seit 2017 Professor für biblische Theologie und antikes Judentum an der Internationalen Hochschule Liebenzell. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen im Bereich des Neuen Testaments, des antiken Judentums und der Auslegungsgeschichte der biblischen Texte mit einem Schwerpunkt auf der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, zählen unter anderem: Die Pharisäer. Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz, Tübingen: Mohr Siebeck, 1997; Die Gerechtigkeit der Tora im Reich des Messias. Mt 5,13 –20 als Schlüsseltext der matthäischen Theologie, Tübingen: Mohr Siebeck, 2004; und als Mitherausgeber mit Volker Leppin und Karl-Wilhelm Niebuhr: Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2007.

  1. Eine überarbeitete Fassung dieses Artikels folgt dem vorliegenden Aufsatz.

  2. Nachtrag 2018: Zugenommen haben während meiner Zeit in England allerdings die Stimmen, die einen akademischen Boykott gegenüber Israel forderten, um damit gegen die Besetzung der palästinischen Gebiete zu protestieren, vgl. https:// bdsmovement.net/academic-boycott. Ein interessantes Phänomen, auf das ich erst im Rahmen des Jubiläums der Balfour-Declaration 2017 aufmerksam wurde, sind die im 19. Jahrhundert wurzelnden Vorstellungen, dass das englische Volk Nachkommen der verlorenen zehn Stämme Israels sind, woraus Anhänger dieser Überzeugung eine besondere Aufgabe Englands im Hinblick auf Israels nationale Wiedergeburt ableiteten. Zudem wurde damit England in die prophetischen Verheissungen über Israels Rückkehr aus dem Exil und der erneuten Staatwerdung im eigenen Land einbezogen. Sehr gut dargestellt sind diese Bewegungen, mit zahlreichen Literaturhinweisen, bei Eric Michael Reisenauer, «‹The Merchants of Tarshish, with all the Young Lions Thereof.› The British Empire Scripture Prophecy, and the War of Armageddon, 1914–1918», in: Journal of the Bible and Its Reception 4 (2017), S. 287–318.

  3. Nachtrag 2018: Auch diese Beobachtung hat sich inzwischen durch die Antisemitismus-Debatte in Bezug auf den 2015 zum Vorsitzenden der Labour Party gewählten Jeremy Corbyn erhärtet.

  4. Zu dieser berühmten Formulierung, die der niederländische Ju- rist, Philosoph, Politiker und Bibelausleger Hugo Grotius (1583– 1645) im Vorwort von De iure belli ac pacis (1625) machte, vgl. Roland Deines, Acts of God in History. Studies towards Recovering a Theological Historiography, Tübingen: Mohr Siebeck, 2013, S. 2–3; Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen: Mohr Siebeck, 62010 [11977], S. 21–22 und 76. Entscheidend an Grotius’ Beitrag ist aus meiner Sicht, dass er mit seiner Forderung, die Gotteskarte nicht im politischen Spiel zu ziehen, keine generelle Abkehr von der Religion im öffentlichen Raum fordert, sondern im unmittelbaren Kontext dieser Aussage sich zu Gott als Schöpfer und dem gebotenen Gehorsam ihm gegenüber bekennt. Vgl. dazu den informativen Beitrag von Gerold Lehner, «Die Angst der Religion vor dem öffentlichen Raum. Einige Überlegungen zu einem kontroversen Thema», in: Michael Bünker, Ernst Hofhansl und Raoul Kneucker (Hrsg.), Donauwellen. Zum Protestantismus in der Mitte Europas. Festschrift für Karl W. Schwarz, Wien: Evangelischer Presseverband, 2012, S. 163–179.

  5. Vgl. Walter Zimmerli, Israel und die Christen. Hören und Fragen, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 21980 [11964]; Markus Barth, Der Jude Jesus, Israel und die Palästinenser, Zürich: Theologischer Verlag, 1975; Friedrich-Wilhelm Marquardt, Die Juden und ihr Land, Hamburg: Siebenstern Taschenbuch Verlag, 1975.

  6. Die Schwierigkeit beginnt schon mit der Sprachregelung: Wie soll man diesen Konflikt bezeichnen, ohne dass sich jemand gekränkt fühlt? Bei «Israelfrage» fühlt sich Israel in Frage gestellt, bei «Palästinakonflikt» scheint die Ursache einseitig der palästinischen Seite zugeschoben zu werden. Die scheinbar neutrale Bezeichnung «Nahostkonflikt» ist inzwischen ebenfalls obsolet, da im Nahen Osten ganz andere und grössere Konflikte toben, so dass im März 2015 bei diesem Wort kaum jemand mehr als erstes an den Israel-Palästina-Konflikt denkt.

  7. Zur ICEJ, vgl. https://de.icej.org. Wichtigste Veranstaltung dieser Organisation ist seit 35 Jahren die jährliche Feier des Laubhüttenfests in Jerusalem. Zur Festversammlung versammelt sich regelmässig israelische Politikprominenz, um den Christen für ihre Unterstützung zu danken, vgl. für die Feier 2014 den Bericht: https://de.icej.org/node/225671.

  8. Vgl. Jürgen Bühler (Geschäftsführender ICEJ-Direktor), «Aufbruch in Einheit ‹Wiederherstellung›», in: Wort aus Jerusalem, Heft 1 (2014), S. 10. Vgl. im selben Heft auch seinen Beitrag:

    «Strebt nach Wiederherstellung! Gottes Wirken in Israel und der Gemeinde», S. 4– 6 (auch unter https://de.icej.org/news/ commentary/strebt-nach-wiederherstellung).

  9. Die im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Union Evangelischer Kirchen in der EKD und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands herausgegebene Orientierungshilfe Gelobtes Land? Land und Staat Israel in der Diskussion, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2012,

    S. 83–85 (auch online zugreifbar unter: http://www.ekd.de/ download/gelobtes_land.pdf), vorgebrachte «notwendige Kritik» am christlichen Zionismus ist überzogen und dient lediglich der schroffen Abgrenzung, aber nicht dem innerchristlichen Dialog über diese Fragen. Das von den christlichen Zionisten dem Judentum «kein eigener Wert zugestanden» würde, weil die Geschichte Israels als Teil der eschatologischen Ereignisse gesehen wird, lässt sich überhaupt nur behaupten, wenn man der neutestamentlichen Eschatologie keinerlei Wert für den christlich-jüdischen Dialog einräumt. Die EKD-Haltung hängt meines Erachtens ursächlich mit dem bereits beschriebenen Sachverhalt zusammen, dass Gottes Handeln in der Geschichte als theologisch nicht legitim abgewiesen wird. Das wird in der Darstellung des Zugangs der «liberalen Theologie» zur «Frage nach der Wiederherstellung der Staatlichkeit Israels» (S. 76–78) auch ausdrücklich benannt, nur wird zu wenig gesehen, wie sehr die mit der liberalen Theologie geteilten Grundeinstellungen auch die eigene theologische Bestimmung präjudizieren.

  10. Zu meinen eigenen Überlegungen zu diesem Thema vgl. Acts of God in History (Anm. 4), S. 24–26 und 403– 406; nun auch: «Biblische Texte und zeitgeschichtliche Deutungen. Neutestamentler und die nationalsozialistische Machtergreifung», in: Michael Meyer-Blanck (Hrsg.), Geschichte und Gott. XV. Europäischer Kongress für Theologie (14.–18. September 2014 in Berlin), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2016, S. 442– 482.

  11. Diese kritische Bemerkung gilt nicht für kirchliche Arbeit ins- gesamt; in sozialen und pädagogischen Fragen hat die Kirche ein Angebot, das Alltagserfahrungen geistlich begleitet. Aber das gilt meines Erachtens nicht für die Frage nach Geschichte und dem Sinn der Geschichte für den Einzelen wie für ein Volk, wobei Israel nur das besonders herausgehobene Volk darstellt. Man könnte sagen: Wenn die Kirche nicht einmal etwas zum Volk Israel (als geschichtliche und politische Grösse in Vergangenheit und Gegenwart) zu sagen hat, wie viel weniger dann zur Geschichte anderer Völker. Das aber erscheint mir zunehmend wieder nötig zu sein, wenn man die Debatte nicht anderen überlassen will. Einen interessanten Beitrag dazu hat kürzlich der Regius Professor of Moral and Pastoral Theology an der Universität von Oxford, Nigel Biggar, vorgelegt mit seinem Buch Between Kin and Cosmopolis. An Ethic of the Nation, Cambridge: James Clarke, 2014.

  12. Dirk Evers, Raum – Materie – Zeit. Schöpfungstheologie im Dialog mit naturwissenschaftlicher Kosmologie, Tübingen: Mohr Siebeck, 2000, S. 374.

  13. Vgl. dazu Bernd Janowski und Enno Edzard Popkes (Hrsg.), Das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Zur Schechina-Vorstellung in Judentum und Christentum, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014.

  14. Vgl. schon die Psalmen 42– 43; 137, und darüber hinaus die zahlreichen biblischen Stellen, die die Hoffnung vom Ende des Exils wachhielten: Dtn 30,1–5; 1 Kön 8,34.46–50; Jes 11,11–16; 27,12–13; 35,8–10; 43,5–7.14–21; 52,7–12; 56,8; 60,4; Jer 16,14– 21; 30,1–3.18–20; 31,4–25.38–40; 32,36–33,13; Ez 37,12–14.21– 22.25 und öfter.

  15. Der XV. Europäischer Kongress für Theologie, der vom 14. bis 18. September 2014 in Berlin anlässlich der Jubiläen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und der deutschen Wiederver einigung zum Thema «Geschichte und Gott» stattfand, belegte dies eindeutig, vgl. M. Meyer-Blanck (Hrsg.), Geschichte und Gott (Anm. 10).

  16. F.-W. Marquardt, Die Juden und ihr Land (Anm. 5), S. 144.

  17. Eindrucksvoll ist das Problem in eine Frage gefasst bei F.-W. Marquardt, ebd., S. 78: «Wer wäre dann der Prediger oder Geschichtenerzähler, der die ganze nachbiblische Geschichte Israels und der anderen Völker und Religionen mit der gleichen Vollmacht und unter der Leitung des gleichen heiligen Geistes darstellen, auslegen und auf unseren Glauben und Gehorsam zuspitzen könnte, wie das die Prediger und Geschichtenerzähler der Bibel mit ihrem Teil Weltgeschichte getan haben?» Aber diesen berechtigten Anfragen antwortet er mit einer Reihe von Gegenfragen, die darauf verweisen, dass das biblische Gottesverständnis nicht ablösbar ist von der konkreten, partikularen Geschichte: «Und wäre es nun nicht eine unerhörte Flucht vor dem lebendigen, dem konkreten Gott, wenn wir aus seinem Segen ein allgemeines Menschheitsdogma, aus Christus ein Gleichheitsprinzip machten, um damit schnurstracks an denen vorüberzugehen, zu denen er sich nun vielleicht doch in ein auch zeitlich und weltlich bestimmtes und gesondertes Verhältnis gesetzt hätte, den Juden?» (ebd., S. 80). Aus jüdischer Perspektive, vgl. Michael Wyschogrod, «Reflections on the Six Day War after a Quarter Century» [1992], in: ders., Abraham’s Promise. Judaism and Jewish-Christian Relations, London: SCM Press, 2006, S. 104– 106. Wyschogrod betont in diesem Aufsatz, der ursprünglich im Nachgang zum Sechstagekrieg und seiner möglichen religiösen Bedeutung für Israel geschrieben wurde (d. h. die Frage war, ob Gott auf Seiten Israels in das Geschehen eingegriffen hat), dass die biblische Geschichte einen uneinholbaren Vorrang vor allen nachbiblichen Ereignissen als Offenbarungsgeschehen hat, denn der jüdische Glaube ist «based on events as they are transformed by the Word of God from the realm of ambiguity to that of clarity» (ebd., S. 104). In anderen Worten, nur das biblische Wort erlaubt es eindeutig, ein Ereignis als Gottesoffenbarung anzusehen.

  18. Vgl. Roland Deines, «Die Bedeutung des Landes Israel in christlicher Perspektive», in: Judaica 62 (2006), S. 309–330.

  19. Vgl. zum Beispiel Peter von der Osten-Sacken, «Staat Israel und christliche Existenz. Möglichkeit, Grenze und Bewährung theologischer Aussagen», in: ders., Evangelium und Tora. Aufsätze zu Paulus, München: Kaiser, 1987, S. 272–293, der zu- stimmend den sechsten der Leitsätze der Kommission des Reformierten Bundes zum Thema «Wir und die Juden – Israel und die Kirche», vorgelegt zur Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 27. bis 29. September 1984 zitiert (Rolf Rendtorff und Hans Hermann Henrix [Hrsg.], Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1: Dokumente von 1945 –1985, Paderborn: Bonifatius, 32001 [11988], S. 616– 620, hier S. 619), in dem die «Gründung und Entwicklung des Staates Israel» ausdrücklich «eine Bestätigung der Treue Gottes» zu seinem Volk gewertet wird. Weiter heisst es: «In dem allen werden die irdisch-geschichtlichen Dimensionen der Verheissungen Gottes den Christen und allen Völkern nachhaltig vor Augen und ins Bewusstsein gerückt» – d. h. die Staatsgründung Israels wird als irdisch- geschichtliches Handeln Gottes ausdrücklich bekannt. Vgl. dazu weiter R. Deines, «Die Bedeutung des Landes Israel in christlicher Perspektive» (Anm. 18); Gelobtes Land? (Anm. 9); Gerhard Gronauer, Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus. Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013.

  20. Karl Barth, «Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie» [1922], in: Karl Barth Gesamtausgabe, Bd. 19: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, Zürich: Theologischer Verlag, 1990, S. (144–147) 148–175, Zitat S. 151 (Hervorhebung im Original). 21 Ebd., S. 156.

  1. Ebd. (Hervorhebung im Original).

  2. Ausführlich entfaltet hat er dies im ersten Band seines vierbändigen Werkes Ursprünge des Christentums und die Frage nach Gott [Originalausgabe: Christian Origins and the Question of God, 1992–2013]: Das Neue Testament und das Volk Gottes, Marburg an der Lahn: Francke, 2011, S. 341–347 und 381–383 und öfter. Im zweiten Band entfaltet er dann, wie Jesus dieses Programm verwirklichte, wobei er das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11–32) als Ausgangstext nimmt, vgl. N. T. Wright, Jesus und der Sieg Gottes, Marburg an der Lahn: Francke, 2013, S. 159– 165 und 493– 496 und öfter. Diese Position hat eine intensive Debatte ausgelöst, vgl. James S. Scott (Hrsg.), Exile. A Conversation with N. T. Wright, Downers Grove: InterVarsity Press, 2017.

  3. Zur Literatur: F.-W. Marquardt, Die Juden und ihr Land (Anm. 5), S. 83–103, hat in diesem Kapitel eine erste Zusammenstellung unter dem Titel «Der Messias und sein Land» gegeben; eine vergleichbare Liste auch in EKD Orientierungshilfe Gelobtes Land? (Anm. 9), S. 27–30 und 96–97, zum Verhältnis von Jesus und dem Land.

  4. Zur Auslegung dieser Stelle auf das Land Israel vgl. Martin Vahrenhorst, «Land und Landverheissung im Neuen Testament», in: Jahrbuch für Biblische Theologie 23 (2009), S. 123– 147, hier S. 131–133.

  5. Die beiden Stellen Lk 24,21 und Apg 1,6 sind eher so zu verstehen, dass solche Erwartungen an Jesus auch innerhalb des Jüngerkreises herangetragen wurden.

  6. Zu dem engen Zusammanhang von Reich Gottes und ewigem Leben beginnend bei Jesus selbst und dann durchgängig im Neuen Testament vgl. Volker Gäckle, Das Reich Gottes im Neuen Testament. Auslegungen – Anfragen – Alternativen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018.

  7. Vgl. dazu jetzt auch Volker Gäckle, «Die Relevanz des Lan- des Israel bei Paulus», in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 112 (2015), S. 141–163.

  8. Zu den damit verbundenen Traditionen, vgl. Michael Tilly, Jerusalem-Nabel der Welt. Überlieferung und Funktionen von Heiligtumstraditionen im antiken Judentum, Stuttgart: Kohlhammer, 2002.

  9. Vgl. Jahrbuch für Biblische Theologie 23: «Heiliges Land» (2009).

  10. Man vergleiche damit den ersten Band in der Reihe «Edition Israelogie», deren Herausgeber dem christlichen Zionismus dispensationalistischer Prägung angehören: Berthold Schwarz und Helge Stadelmann (Hrsg.), Christen, Juden und die Zukunft Israels. Beiträge zur Israellehre aus Geschichte und Theologie, Frankfurt am Main: Lang, 2009.

  11. Aufgrund der unterschiedlichen Theologien, die in der Kanonordnung erkennbar ist, sollte zwischen dem christlichen Alten Testament und der Hebräischen Bibel deutlich unterschieden werden, weil es sich dabei eben nicht um dasselbe Buch handelt, selbst wenn dieselben Einzelschriften sich in beiden finden.

  12. Vgl. Offb 3,12; 21,2.10. Das gegenwärtige Jerusalem kommt nur noch als Ort der Verfolgung und des Gerichts in den Blick (11,1–14); vgl. dazu Martin Karrer, «Eine Zeit des Lichts für Israel und die Völker: Das vom Himmel herabsteigende Jerusalem der Johannesapokalypse», in: Jahrbuch für Biblische Theologie 28 (2013), S. 159–181.

  13. Michael Wyschogrod, «Judaism and the Land», in: ders., Abraham’s Promise (Anm. 17), S. 91–103, hier S. 92 und 99.

Die Bedeutung des Landes Israel in christlicher Perspektive*

Roland Deines

Christliche Pluralität im Hinblick auf das Land

Der Titel des Vortrags impliziert zu Unrecht die Vorstellung, als ob es so etwas wie eine oder gar die christliche Perspektive zur Bedeutung des Landes Israel gibt. Das ist angesichts der konfessionellen und geographischen Zersplitterung des Christentums weder gegeben noch zu erwarten. Differierende historische Erfahrungen haben entsprechende Haltungen zum jüdischen Volk und zum Land Israel geprägt. Die daraus resultierende Komplexität kann im Folgenden lediglich durch den Hinweis auf exemplarische Haltungen unterschiedlicher christlicher Strömungen vorgestellt werden. Zu unterscheiden sind ferner kirchliche Stellungnahmen, die offiziellen Charakter haben, theologische Aussagen von Einzelpersonen aus den unterschiedlichsten kirchlichen und theologischen «Lagern» (die sehr einflussreich sein können) sowie Zeugnisse der Gemeindefrömmigkeit, wobei die Vielfalt nahezu grenzenlos ist. Eine einheitliche, verschiedene Gemeinden, Länder, Kirchenbünde usw. umgreifende Lehre des Verhältnisses von Christen zum «Land Israel» gibt es nicht und hat es nie gegeben. Eine sogenannte «Israelogie» (die nicht nur das «Land Israel» umfasst, sondern «Israel» in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der als untrennbar gesehenen Verbindung von Volk, Land, Erwählung und Verheissung) gehört bis heute nur innerhalb des sogenannten Dispensationalismus1 zur Standard-Dogmatik dazu. Vom christlich-jüdischen Dialog geprägte Theologen wie Paul M. van Buren und Friedrich-Wilhelm Marquardt haben in ihren dogmatischen Entwürfen jedoch auch dem Land und Staat Israel eigene Abschnitte gewidmet.2 Das Thema gewinnt also an Bedeutung.

Eine schon etwas ältere Bestandsaufnahme der theologischen Bedeutung der Neugründung des Staates Israel und damit verbunden auch des Heiligen Landes nennt drei hauptsächliche Positionen, die von christlicher Seite aus eingenommen werden.3

1. Die erste, bis heute weit verbreitet, erkennt dem modernen Staat Israel (und damit auch dem «Land Israel» als eigenes theologisches Konzept) keinerlei theologische Bedeutung zu. Das ist die Konsequenz der sogenannten Substitutionstheorie: Wenn die Kirche das neue Israel ist und entsprechend alle auf Israel (als Volk und Land) bezogenen Verheissungen spiritualisiert und d.h. hier in gewisser Weise entweltlicht werden, dann ist eine Beschäftigung mit Israel und dem jüdischen Volk zumindest aus theologischen Gründen nicht nötig. Es ist allerdings zu bemerken, dass diese Position im Abnehmen begriffen ist (sie findet sich in Teilen der lutherischen Tradition und besonders unter orthodoxen Kirchen), da die «bleibende Erwählung Israels» von immer mehr Kirchen als gültige Lehraussage übernommen wird. Eine geistliche Deutung der Landaussagen und der biblischen Bezeichnung «Israel» wird allerdings – aus verständlichen Gründen – in Kreisen der palästinensischen (Befreiungs-)theologie4 mit Nach- druck vertreten, wobei der Nachdruck auf einem engen Konnex von Land, Freiheit und Gerechtigkeit liegt: Nur wo das ermöglicht wird, kann sozusagen das biblische Etikett «Israel» in Anspruch genommen werden und zwar in jedem Volk und in jedem Land. Überall, wo Gerechtigkeit herrscht und Frieden möglich ist, da kann ein Land zu «Israel» werden. Die Stossrichtung ist klar: Der politische Staat Israel ist deutlich zu unterscheiden vom biblischen «Israel».

2. Stellt diese Position in ihren unterschiedlichen Ausprägungen das eine Extrem dar, so ist das andere in den Kreisen und Kirchen zu suchen, die in Israel einen «Zeiger an Gottes Weltuhr»5 und darum die Neugründung des Staates Israel als direkte Erfüllung biblischer Prophetie sehen. Hier wird in Bezug auf das Land meist eine Maximalposition vertreten: Das jüdische Volk hat ein von Gott gegebenes Recht auf das ganze Land in den verheissenen Grenzen (wobei die verschiedenen Grenzverzeichnisse durchaus in Betracht gezogen werden), allerdings ist der Landbesitz wie schon in biblischer Zeit abhängig vom geistlichen Zustand des Volkes Israel, d. h. ein deuteronomistisches Geschichtskonzept wird hier fortgeführt. Aktuelle Ereignisse dienen als Gradmesser, ohne dass man sich über die hermeneutischen Probleme einer theologischen Geschichtsdeutung der Gegenwart Gedanken zu machen scheint. Entsprechend dieser Konzeption wurde etwa der Rückzug aus Gaza von manchen als Hinweis auf den Unglauben des jüdischen Volkes gesehen, denn «Gott ist gegen die Rückgabe der von Israel seit 1967 befreiten Gebiete».6 Dass diese Position äusserst problematisch ist, sei hier nur angemerkt, massen sich doch Christen an, über den geistlichen Zustand des Judentums zu urteilen und daraus politische Folgerungen abzuleiten. Problematischer noch: Die Sympathie und Unterstützung Israels wird in gewisser Weise davon abhängig gemacht, ob es diesen Massstäben genügt.7 So wurde in diesen Kreisen zur Zeit der Abfassung dieses Beitrages intensiv diskutiert, ob man nach dem Gaza-Rückzug weiterhin die Politik Scharons unterstützen könne, da dieser doch eindeutig gegen Gottes Auftrag der Landnahme verstossen habe.8 Man kann sich vorstellen, dass diese Form von Philojudaismus sehr leicht in Antijudaismus umschlagen kann, wenn das real existierende Israel sich nicht so verhält, wie es sich nach der Exegese dieser christlichen «Israelfreunde» verhalten sollte.9 Es muss allerdings auch hier gesagt werden, dass dieser christlich-fundamentalistische Zionismus vielerlei Variationen aufweist und in der Öffentlichkeit zu den aktivsten Unterstützern Israels gehört. Diese Förderung geschieht durch politischen und publizistischen Lobbyismus, durch «Solidaritätsreisen», bei denen bewusst auch Hotels und touristische Angebote in den besetzten Gebieten unterstützt werden, vereinzelt auch durch das eigene Siedeln in diesen Gebieten und wohl auch durch finanzielle Zuwendungen. Die Internationale Christliche Botschaft in Jerusalem10 ist für diese Position repräsentativ, das internationale Laubhüttenfest jedes Jahr im Herbst publizistischer und propagandistischer Höhepunkt, bei dem jeweils hochrangige israelische Politiker als Gastredner auftreten. Ihr Engagement für Israel wird von der israelischen Politik also ausdrücklich anerkannt und gewürdigt, auch wenn sich viele der Ambivalenz bewusst sind.11

3. Eine Mittelposition zwischen den genannten Extremen versteht die Rückkehr des Volkes in sein Land als Hinweis auf Gottes Treue zu seinem eigenen Volk und damit als «Zeichen» (wobei genau diese Terminologie hermeneutisch strittig ist) für dessen bleibende Erwählung. In Bezug auf das Land gibt es keine so klare Festlegung wie beim christlichen Zionismus, insbesondere wird hier nicht mit Grenzverzeichnissen usw. operiert.12 Die politische Gestalt und geographische Dimension der Rückkehr ins eigene Land wird theologisch – wenn überhaupt – als Ausdruck von Gottes Treue zu seinem Volk gedeutet, aber nicht im Sinne einer Erfüllung der prophetischen Rückkehr-Verheissungen. Im Vordergrund steht das Eintreten für eine gesicherte Staatlichkeit Israels, zumeist verbunden mit dem Hinweis auf die politischen Rechte auch des palästinischen Volkes. Viele reformierte Kirchentraditionen können dieser Mittelposition zugerechnet werden, desgleichen die Mehrheit der seit den 1970er-Jahren erlassenen kirchlich-protestantischen offiziellen Dokumente zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Der Unterschied zwischen den genannten Positionen zeigt sich ganz konkret daran, dass der Abzug bzw. die Abkoppelung der besetzten Gebiete bei Vertretern der Substitutionstheorie bzw. bei der Mittelposition kein besonderes Echo und schon gar kein besonderes theologisches Nachdenken ausgelöst hat. Demgegenüber wird in Kreisen der christlichen Zionisten intensiv darüber diskutiert, ob der Rückzug theologisch legitim ist oder ob Israel damit gegen Gottes Gebot verstösst, indem es freiwillig Land zurückgibt, das ihm Gott als ewigen Besitz doch zugesagt hat. «Darf Israel die Siedlungen im Gazastreifen aufgeben?» ist hier eine entscheidende Frage.13

4. Eine vierte Position, die aus meiner Sicht zu Unrecht bei offiziellen Konsultationen in der Regel übergangen wird, ist die des Judenchristentums.14 Es ist ein Grenzphänomen, weil es seinem eigenem Selbstverständnis nach sowohl jüdisch als auch christlich ist, während bis heute sich sowohl das Judentum wie das Christentum schwer damit tun, dieses Selbstverständnis als legitim zu akzeptieren. Sieht man mit Hinblick auf die Bedeutung des Landes einmal das Liederbuch der messianischen Gemeinden Israels genauer durch, dann zeigt sich zwar, dass wie in anderen Gesangbüchern auch sehr viele Bibeltexte gesungen werden, in denen von Jerusalem, vom Land und vom Zion die Rede ist. Wenn man solche Texte in Israel singt, dann haben diese geographischen Bezeichnungen einen realeren Bezug als etwa in einer Berner Kirchengemeinde: Aber auch für die judenchristliche Tradition gilt, dass das Land als besonderes Heils- oder Glaubensgut nicht benannt wird.15 Baruch Maoz, Leiter der messianischen Gemeinde in Rishon LeZion, fasste seine Position einmal so zusammen:

Die Endzeit sollte niemals als Richtschnur für menschliches Handeln verwendet werden. Endzeitliche Voraussagen sollen ermutigen, warnen und motivieren, nicht aber unsere Handlungsweise vorgeben. Viele haben sich zu sehr auf endzeitliche Texte gestützt und dabei die Gebote Gottes vernachlässigt und missbraucht, die uns in unseren Beziehungen untereinander leiten sollen.16

Ähnlich wie in der palästinensischen Befreiungstheologie ist es die Frage nach der Gerechtigkeit, die hier leitend ist, d. h. hier scheinen Verständigungen möglich.17 Diesen Äusserungen von israelischen messianischen Juden stehen jedoch andere gegenüber, die eine Aufgabe von biblisch verheissenem Land zugunsten eines Palästinenserstaates radikal ablehnen.18

Eine gemeinsame Voraussetzung

Trotz der angedeuteten Unterschiede und Vielfalt lässt sich meines Erachtens eine allen christlichen Traditionen gemeinsame Feststellung hinsichtlich des «Landes Israel» machen, die für die Fragestellung dieser Tagung grundsätzlich wichtig ist: Weder gab es noch gibt es eine genuin christliche Beanspruchung des Landes im Sinne eines «heiligen Landes» mit entsprechenden politischen Implikationen. Für den Satz «Das Wohnen im Lande Israel wiegt alle Gebote in der Tora auf» und die damit verbundene Landtheologie innerhalb der rabbinischen Überlieferung19 gibt es kein christliches Äquivalent. Es wurde also, mit anderen Worten, nie versucht, eine Art Kirchenstaat auf dem Boden des Heiligen Landes zu errichten mit der Begründung, dieses Land gehöre aus religiös-theologischen Gründen den Christen, sei ihnen von Gott gegeben und müsste darum auch – aus Gehorsam gegenüber Gott – von ihnen «in Besitz genommen werden» oder ähnlich.

Einige Erläuterungen dazu: Es gibt zwar seit den Tagen von Jesus und Paulus ein durchgehendes Interesse an Jerusalem und dem Land Israel in der christlichen Tradition,20 aber dies ist nicht an Landbesitz im Sinne politischer Herrschaft orientiert. Es scheint mir, dass Georg Strecker Recht hat, wenn er schreibt:

«Eine theologische Bewertung des ‹Landes› ist für das Urchristentum nicht bezeugt»21 und, so lässt sich an- schliessen: auch nicht für die christliche Tradition bis zum 20. Jahrhundert. So ist die Zugehörigkeit Palästinas zum römisch-byzantinischen Reich meines Wissens nicht aus politischem Interesse religiös überhöht worden. Die Bedeutung des Landes lag (und liegt) hin- gegen in seiner Zeugenfunktion für das Evangelium. Die biblischen Orte und ihre geographische Konkretheit dienten der Erinnerung des Inkarnationsgeschehens, sie waren und sind gleichsam ein Vademecum gegen den die christliche Theologie immer wieder bedrohenden Doketismus seit der Gnosis. Vor diesem Hintergrund ist das christliche Pilgerwesen zu verstehen, das spätestens seit dem 4. Jahrhundert das sichtbarste und wirkungsmächtigste Element der christlichen Beanspruchung des Landes Israel darstellt – und zwar für viele christliche Traditionen bis heute.22 Daher richtete sich das christliche Besitzinteresse seit dem Aufkommen des Pilgerwesens auf den ungehinderten Zugang zu ausgewählten sogenannten «heiligen Stätten» der biblischen Geschichte und der Möglichkeit gottesdienstlicher Feiern an diesen Orten (womit das Interesse an entsprechenden Memorialbauten verbunden ist).23 Es ist dies also ein eher pragmatisches und partielles Interesse am Land, das nicht von einer umfassenden «Land-Theologie» motiviert wird. Zu Konflikten kam (und kommt es bis heute) immer dann, wenn dieser un- gehinderte Zugang verwehrt wird. Das war einer der Auslöser für die Kreuzzüge24 und ist bis heute einer der Konfliktpunkte zwischen (in erster Linie katholischen und orthodoxen) christlichen Gemeinden und dem Staat Israel, greifbar insbesondere in Jerusalem, wo in allen politischen Beratungen der Zugang zu den Heiligen Stätten für Christen und Muslime (unter den Voraussetzungen einer jüdischen Hoheit über Jerusalem) bzw. für Juden und Christen (unter den Voraussetzungen einer muslimischen Verwaltung der Altstadt) eine wichtige Rolle spielt. Gleichwohl gilt, dass die christliche Position anders als die jüdische und muslimische, keine das ganze Land umfassende, religiös motivierte «Lehre» (Dogmatik, Halacha) besitzt.

Dieser Konsens wird nun allerdings von zwei unter- schiedlichen Seiten in Frage gestellt: vom Dispensationalismus einerseits (wobei in erster Linie von Juden eine bestimmte Haltung zum Land erwartet wird, die jedoch christlicherseits anzuerkennen und zu unterstützen ist) und anderseits von verschiedenen Neuansätzen innerhalb der neutestamentlichen Theologie, wobei Fragestellungen und Herausforderungen des jüdisch- christlichen Dialogs bei einzelnen Exegeten eine Rolle spielen.25 In beiden Fällen ist ein starkes, auf die Gegen- wart bezogenes «dogmatisches» Interesse an der versuchten Wiedergewinnung einer religiösen Geographie sichtbar. Das sollte bei der Bewertung dieser Arbeiten und ihrer Ergebnisse immerhin berücksichtigt werden. Mehrheitlich ist es jedoch weiterhin die Funktion des Landes als «fünftes Evangelium», die ihm in der christlichen Tradition und Frömmigkeit seine einzigartige Bedeutung verleiht.

Im overpromised land beanspruchen die Christen also keine Verheissung für sich, was das Wohnen und Regieren im Land angeht. Wo Christen in der Gegenwart meinen, zum Land Israel und dem Staat Israel theologisch Stellung beziehen zu müssen, da tun sie es ausschliesslich im Hinblick auf das jüdische Verhältnis zum Land.26

Die Schwierigkeiten einer christlichen Stellungnahme zu einer jüdischen Frage

Es ist deutlich geworden, dass nur da, wo theologisch von einer bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes ausgegangen wird (oder, wie es der Dispensationalismus formulieren würde: von einer zukünftigen Aufgabe des Volkes Israel im Heilsplan Gottes), auch das Thema von Land und Staat Israel theologischen Rang bekommt. Die Aussage von der «bleibenden Erwählung Israels» findet sich seit Beginn der 1980er-Jahre in einer zunehmenden Anzahl kirchlicher Stellungnahmen zum christlich-jüdischen Verhältnis.27 Dass ist bekannt und braucht nicht im Detail wiederholt zu werden. Ich beschränke mich darum auf die damit verbundene Stellung zum Land.28

Die Niederländische Reformierte Kirche erliess am 16. Juni 1970 eine Handreichung zum Thema «Israel: Volk, Land und Staat»:29 Darin wird ausdrücklich gefragt, ob «der Staat Israel für Christen eine besondere Glaubensdimension hat».30 In der Antwort wird festgehalten, dass für Israel das Land immer ein wesentliches Element der Erwählung des Volkes gewesen und geblieben ist – nicht als Selbstzweck, sondern als Zeichen für die Völker. Jesus selbst tritt als Glied des jüdischen Volkes auf und bekennt sich zu dessen Bund und Erwählung. Trotz der mehrheitlichen jüdischen Ablehnung Jesu bleibe die Erwählung des Volkes bestehen31 und damit auch das Band zwischen jüdischem Volk und Land Israel. Diese Beziehung zwischen Volk und Land sieht das Dokument auch im Neuen Testament insbesondere im Hinblick auf die eschatologische Zukunft und die Wiederkehr von Christus vorausgesetzt.32 Die «Wiedervereinigung von Volk und Land» ist daher auch von Christen als ein Hinweis «auf die besondere Bedeutung dieses Volkes mitten unter den anderen Völkern und auf die bewahrende Treue Gottes» zu deuten und dankbar und freudig anzuerkennen. Einschränkend wird darauf hingewiesen, dass «die Verheissung Gottes […] der bleibenden Verbundenheit von Volk und Land» gilt, «aber nicht in gleicher Weise der von Volk und Staat».33 Gleichwohl wird die relative Notwendigkeit der jetzigen Staats- form aus pragmatischen Gründen anerkannt und zugleich für theologisch notwendig betrachtet: Weil die «Bejahung der eigenen Staatsform […] auf dem bleibenden Band mit dem Land kraft der Verheissung gegründet ist, also letzten Endes auf Glaubens- gründen beruht, kann dies in der christlichen Gemeinde keine Sache freibleibender Diskussion sein. Sonst würde man sich auf einen Weg begeben, auf dem das Neue Testament vom Alten, Gott von der Geschichte und sein Gebot von seiner Gnade gelöst zu werden drohen; damit würde der Glaube spiritualisiert oder ethisiert werden».34 Die Ambivalenz des Staates wird deutlich gesehen und benannt, gleichwohl wird – theologisch begründet – diesem Staat ein Sondercharakter in der Staatenwelt zugebilligt, was – soweit ich die Texte gelesen habe – sonst nie der Fall ist.

«Auf Grund der Stellung, die eigens das jüdische Volk von Gott her einnimmt, hat auch der Staat Israel eine eigenartige Dimension».35 Das Dokument enthält meiner Ansicht nach Ansätze, die für ein dezidiert theologisches Verständnis des Staates Israel hilfreich weitergeführt werden könnten. Diese sind aber in den folgenden Erklärungen nicht nur nicht aufgenommen sondern sogar wieder abgeschwächt, indem sie weitgehend auf die politische Frage reduziert worden sind.

So wird in der EKD-Studie «Christen und Juden» vom Mai 197536 im Kapitel «Die beiden Formen jüdischer Existenz», wo es um das Leben im Land bzw. der Diaspora geht,37 festgehalten: «Juden haben stets im Land Israel und in der Diaspora gelebt; volle Verwirklichung jüdischen Lebens steht jedoch zu allen Zeiten mit dem Land in Verbindung».38 Entsprechend folgt in der Studie dann auch ein eigener Abschnitt zu «Der Staat Israel».39 Die religiöse Bedeutung des Landes und damit des Staates Israel «für viele Juden» (diese Einschränkung ist aus meiner Sicht wichtig) wird ebenso berücksichtigt, wie dass sich der Staat Israel durch seine Namensgebung und seine Gründungsurkunde «ausdrücklich in die biblische Tradition des Judentums und damit in den Zusammenhang der Geschichte des erwählten Volkes» stellt(e). Dies sei «auch für Christen von Bedeutung». Allerdings beschränkt sich dies ausdrücklich auf die christliche Verpflichtung, «den völkerrechtlich gültigen Beschluss der Vereinten Nationen von 1947 anzuerkennen und zu unterstützen, der den Juden ein gesichertes Leben in einem eigenen Staat ermöglichen soll». Eine Unterstützung der geschichtstheologischen Legitimation wird dagegen vermieden.40

In den «Überlegungen zum Problem Kirche – Israel» des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds vom Mai 197741 wird im Vorwort «die Sammlung vieler Juden in Teilen des verheissenen Landes des Alten Bundes» als Anlass genommen, über die «Probleme[] des Nahen Ostens» nachzudenken. Die «religionsgeschichtliche Verbundenheit mit dem Judentum» erfordere eine Stellungnahme zu diesen Fragen. Der umfangreichste der insgesamt sieben Punkte ist der sechste, mit «Zionismus – Staat Israel» überschriebene.42 Da heisst es unter anderem: «Wir erachten es als Aufgabe der christlichen Kirchen und aller Christen für das Lebensrecht des uns besonders verbundenen jüdischen Volkes und seines Staates einzutreten und Israel in seiner zunehmen- den Isolierung beizustehen.» Daneben steht das Eintreten für die Palästinenser. Die theologische Frage wird nur gestreift: «Manche Christen und viele Juden sehen in der Staatsgründung Israels die Erfüllung biblischer Verheissungen.» Eine klare Stellungnahme wird hier wie in allen gleichzeitigen Veröffentlichungen vermieden. Der siebte und letzte Punkt widmet sich der Frage Jerusalems. Hier wird, in gut protestantischer Tradition, da- rauf hingewiesen, dass der Glaube nicht an «sogenannte ‹heilige Stätten› gebunden» ist.43 Darüber hinaus wird dann aber, sozusagen unter Aufnahme der gesamtchristlichen Tradition, die Bedeutung der Memorial- und Pilgerstätten der Stadt hervorgehoben. Auch hier über- wiegt das pragmatische Interesse, während die theologische Anfrage wie bei Punkt 6 in der Schwebe bleibt.

Auch die Leitsätze der Kommission des Reformierten Bundes zum Thema «Wir und die Juden – Israel und die Kirche», vorgelegt zur Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 27. bis 29. September 1984,44 fol- gen diesem Duktus. So heisst es in Leitsatz VI:

Dankbar preisen wir die Treue Gottes, der sein Volk erwählt hat. Wir erkennen, dass die Landverheissung untrennbar mit der Erwählung verbunden ist. Diese Verheissung ist vom Volk Israel festgehalten worden im Land und in der Diaspora, im Festkalender und in der Liturgie. Aufgenommen vom politischen Zionismus, hat dies zur Gründung und Entwicklung des Staates Israel geführt. In unserer Zeit sehen wir in der Rückkehr von Juden ins Land eine Bestätigung der Treue Gottes. In dem allen werden die irdisch- geschichtlichen Dimensionen der Verheissungen Gottes den Christen und allen Völkern nachhaltig vor Augen und ins Bewusstsein gerückt [es folgen als Zitate Jer 23,3; Sach 2,12]. Weil wir als Christen in einem besonderen Zusammenhang mit dem jüdischen Volk stehen, müssen wir – eingedenk unserer Schuld – für das Leben dieses Volkes eintreten. Wir begleiten voll Spannung und Sorge das Leben von Juden im Land Israel und den Weg des Staates Israel. Wir widersprechen allen antijüdischen Bestrebungen, die das Lebensrecht Israels problematisieren. Wir sind aufgerufen, mit unseren Gebeten und in politischer Verantwortung dem Staat Israel, seiner Lebensgestalt und seiner Entwicklung, besonders in seinen Gefährdungen und Bedrohungen, zugewandt zu sein.45

Auch diese weitergehende Auseinandersetzung mit der Landfrage vermeidet es, eine christlich-theologische Bewertung des Staates Israel bzw. des jüdischen Anspruches auf das Land zu geben.

Diese Reihe liesse sich fortsetzen, aber fast alle Dokumente weichen der eigentlich theologischen Frage nach der Stellung des Landes für die christliche Dogmatik, insbesondere die Eschatologie, aus. Festzuhalten ist jedoch, dass sich durch die Betonung der bleibenden Erwählung Israels die Frage des Landes mit einer inneren Notwendigkeit stellte. Wer die Erwählung Israels als bleibend anerkennt und darin einen Ausdruck von Gottes Heilshandeln sieht, kann am Land als Teil dieser Erwählung und als Gottes Heilsgabe in diesem Bund nicht vorbeisehen. Die genaue Bestimmung ist jedoch mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden, die zum Teil auch deutlich gesehen werden.

Die in den Dokumenten der «mittleren» Phase46 erkennbare Zurückhaltung im Hinblick auf eine theologische Bestimmung des geographischen Aspekts des Staates Israel ist in den jüngeren Verlautbarungen erkannt und ausdrücklich benannt worden. So hat sich die Lutherische Europäische Kommission Kirche und Judentum zwischen 1991 und 1995 in fünf Tagungen mit der Frage nach der «theologischen Bedeutung des Landes Israel für den christlichen Glauben» beschäftigt,47 und zwar ausgehend von der Erklärung der Kommission vom 8. Mai 1990, in der es hiess: «Wir glauben, dass Gott in seiner Treue Israel durch die Geschichte geführt und es durch die jüdische Glaubenstradition als Volk bewahrt hat. Wir sehen in der Heimkehr in das Land der Väter ein Zeichen der Bundestreue Gottes».48

Übereinstimmung bestand in der Kommission über die Bedeutung Israels als «Schauplatz» der biblischen Geschichte und damit verbunden als Ort der vertieften Erinnerung, d. h. die Bedeutung als Memorial- und Pilgerstätte wurde noch einmal betont. Strittig blieb jedoch – weshalb am Ende der fünfjährigen Beratung auch keine Erklärung, sondern «nur» ein Arbeitsbericht stand –, ob das Land darüber hinaus «theologische Bedeutung» habe. Eine Seite lehnte eine theologische Bedeutung des Landes rundweg ab, weil der christliche Glaube nur «an das Wort Gottes gebunden [sei] und an keinen wie auch immer gearteten historischen Ort». Zur Begründung wurde dabei auf die relative Unwichtigkeit der Landverheissung im Neuen Testament verwiesen. Dieser Position wurde jedoch entgegen- gehalten, dass die Offenbarung Gottes zwar durch das Wort geschehe, sich aber immer ganz konkret verleibliche in einzelnen Personen und so eben auch im Volk Israel und dem ihm verheissenen und gegebenen Land. Ein möglicher «lutherischer» Ausgleichsversuch wurde unternommen, indem Kategorien der Abendmahlslehre auf das Land übertragen wurden: So wie das Verheissungswort und der Glaube die Elemente von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi transformieren, so transformiert der Glaube auch das Land Israel in ein heiliges Land: «Wie für Israel durch die Heilsgabe der Verheissungen und Gebote das Land geheiligt wird, so wird dieses Land für Christen auch durch die Heilsgabe des Glaubens an Jesus Christus im Vollzug des Glaubens zum heiligen Land.» Es folgen noch eine weitere Reihe von meines Erachtens problematischen Sätzen, die alle versuchen, eine höhere Bedeutung des Landes für die christliche Tradition zu fundieren, deren Notwendigkeit ich nicht sehe. Theologisch und historisch nötigt nichts dazu, dem Land einen besonderen Heiligkeitscharakter zuzuschreiben. Dieses Bemühen erscheint mir als ein wenig hilfreiches Unterfangen, sich jüdischem Denken im Hinblick auf das Land allzu eng anzunähern (wobei ich nicht sicher bin, ob das jüdische Verständnis damit angemessen getroffen ist).

Damit läutet dieses Dokument eine neue Runde ein, wobei meiner Ansicht nach die Erfahrungen des ersten Golfkrieges im Hintergrund stehen (siehe oben Anm. 46). Es wird versucht, dem Land Israel eine stärkere theologische Bedeutung zu geben im Bemühen um eine intensivere Solidarität mit dem Volk Israel im Staat Israel. Das geht auch aus den anschliessenden Bemerkungen zum Verhältnis «Christen und der Staat Israel» hervor. Dabei wird zwar die Gefahr gesehen, dass theologische Positionen politisch instrumentalisiert werden, aber die Trennung zwischen theologischen und politischen Fragestellungen wird als «nur begrenzt glaubwürdig» dargestellt. Auch hier zeigt sich: Es stehen am Ende mehr offene Fragen als Antworten.

Das trifft auch für die neue Studie der EKD, Christen und Juden III. Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum49 zu, in der ebenfalls ein ausführlicher Abschnitt (4.6) über «Israel – Land und Staat» enthalten ist.50 Der erste Punkt (4.6.1) formuliert die Frage «Warum geht uns das Thema an?» und gibt als Antwort:

Die Existenz des Staates Israel, der in seiner Gründungsurkunde und mit seinem Namen ausdrücklich an biblische Traditionen anknüpft, macht es Christen unmöglich, von Israel so zu sprechen, als handle es sich dabei um eine Grösse der Vergangenheit.51

Es ist also zunächst eine heuristische Funktion, die der Staat Israel für Christen haben soll, indem er daran erinnert, dass es «Israel» (gemeint als Volk und Religionsgemeinschaft) noch gibt. Das ist nicht gerade eine gewichtige Antwort. Und so heisst es weiter: «Der moderne jüdische Staat fordert Christen dazu heraus, über ihr Verhältnis zum jüdischen Volk nachzudenken.» Auch das ist noch sehr allgemein formuliert und auch dazu (wie zur ersten Antwort) bedürfte es des Staates Israel nicht. Der Grund für die erkennbare Zurückhaltung in diesen Passagen wird deutlich im zweiten Abschnitt:

«Für arabische Christen allerdings stellen Existenz und Politik des Staates Israel das grösste Hindernis auf dem Weg zu einer theologischen Neuorientierung im Blick auf das Judentum dar.»52 Hier ist jetzt plötzlich von «Existenz und Politik» die Rede, erkennbar aus dem Bemühen formuliert, es allen Recht zu machen.53 Einer eigentlich theologischen Argumentation wird ausgewichen und man bekennt sich ausdrücklich dazu. Der letzte Satz von «4.6.1 Warum geht uns das Thema an?» lautet:

Umstritten ist, ob es für Christen theologische Gründe gibt, für den Staat Israel besonders einzutreten, und welche Bedeutung für sie das Land der Verheissung hat.54

Es folgt entsprechend «4.6.2 Widerstreitende theologische Positionen», bei der verschiedene kirchliche Stellungnahmen zum Thema Staat Israel kurz vorge- stellt werden. Unter anderem wird auf die oben erwähnten Leitsätze zum Thema «Wir und die Juden – Israel und die Kirche» des Reformierten Bundes hingewiesen, die von der Hauptversammlung am 12. Mai 1990 entgegengenommen wurden. In den Erläuterungen, die die Leitsätze begleiten und zu ihrem besseren Verständnis dienen und gleichzeitig zur Auseinandersetzung anregen sollen, wird Leitsatz VI (der auf den «besonderen Zusammenhang» verweist, in dem Christen mit dem jüdischen Volk stehen, die darum «voll Hoffnung und Sorge das Leben der Juden im Land Israel und den Weg des Staates Israel [begleiten]»55) in der folgenden Weise einschränkend kommentiert:

Dies bedeutet nicht, dass wir in der Existenz des Staates Israel unmittelbar die endzeitliche Erfüllung der Verheissungen erkennen könnten. Es bedeutet aber ausdrücklich, dass wir denen widersprechen, die Israel als Volk, Israel als Land und Israel als Staat aus den Fragen des Glaubens und der Theologie fernhalten möchten.56

Diesen Formulierungen ist anzumerken: das Problem wird gesehen, aber keine Lösung gefunden. Israel ist mehr als nur einfach ein weiterer Staat auf der Landkarte, aber er ist nun eben auch nicht so ohne weiteres der Vorbote des endzeitlichen Reiches Gottes in dieser Welt. Die theologische Schwierigkeit liegt darin, inwieweit einzelnen historischen Ereignissen eine heils- bzw. offenbarungsgeschichtliche Dignität zuerkannt werden kann bzw. soll. Ist dies, wenn überhaupt, nur bzw. wenigstens im Hinblick auf die Geschichte Israels möglich bzw. nötig? Oder gilt dies auch für die Geschichte Polens, Deutschlands, den Vereinigten Staaten?57

Der Punkt 4.6.3 behandelt darum die Folgerungen aus dem Theologumenon des ungekündigten Bundes für «das Land der Verheissung». Hier wird betont, dass Gottes Bund mit Israel, wie er durch Abraham und Mose Gestalt gewonnen hat, und die Landgabe in einem unauflösbaren Zusammenhang stehen. Das wird bestätigt durch die prophetische Botschaft, die den menschlichen Bundesbruch mit dem Exil bedroht und nach des- sen Eintritt die Wiederannahme durch Gott mit der Rückkehrverheissung verbindet. Darum kann auf eine «theologische Deutung der Rückkehr der Juden ins Land und der Gründung eines Staates, der den Namen Israel trägt», nicht verzichtet werden.58 Der Einwand, dass das Land im Neuen Testament keine Rolle spiele, wird ausdrücklich zurückgewiesen, weil die jüdische Bibel (das christliche Alte Testament) für Christen ihren eigenen theologischen Wert auch dort habe, wo das Neue Testament nicht ausdrücklich Bezug darauf nimmt.59

Der Abschnitt über Israel endet (4.6.4) mit Konsequenzen: Darin wird einerseits festgehalten, dass einer «Verabsolutierung des Landes», wie sie «von national- religiösen Kräften in Israel, aber auch von manchen christlichen Zionisten betrieben wird», aus dem Geist der Propheten Israels zu widersprechen ist. Andererseits wird denen eine Absage erteilt, die «behaupten, dass geschichtliche Ereignisse – besonders wenn sie das jüdische Volk betreffen – für den christlichen Glauben nicht relevant seien». Ausdrücklich wird die Rückkehr ins Land mit der Verheissung eines neuen Himmels und einer neuen Erde verbunden: «Dass Israel in Frieden leben soll nach seiner Verheissung wird dadurch ebenso Teil des christlichen Glaubens wie die Utopie von einer Welt, in der sich die Wölfe bei den Lämmern lagern.»60

Hier müsste meiner Meinung nach eine gründliche Diskussion ansetzen, denn hier wird deutlich, dass es letztlich hermeneutische Fragen sind, die vor einer Stellungnahme jedweder Art geklärt werden müssen. Im Grunde geht es um die alte Frage nach dem Verhältnis von Gottes Geschichte in, mit und unter den Bedingungen der (profanen) Menschheitsgeschichte bzw. um die Relation von Heils- und Weltgeschichte und die Erkenntnismöglichkeit dieser besonderen Heilsgeschichte. Damit verbunden ist die übergreifende systematisch- theologische Fragestellung, inwieweit es theologisch überhaupt sinnvoll bzw. legitim ist, dass eine Religionsgemeinschaft eine andere in ihren spezifischen Interessen unterstützt. Anders gesagt: Kann die Kirche (und erst dann die Frage: soll sie auch, was sie kann?) von dem ihr gegebenen Auftrag her Israels Beanspruchung des Landes aufgrund der Israel gegebenen Verheissungen theologisch unterstützen? Es geht also zunächst und zuvorderst nicht um eine politische Solidarität mit dem Staat Israel, sondern um die theologische Frage nach der Angemessenheit eines solchen Eingreifens und Bewertens in die Belange einer anderen Religionsgemeinschaft. Zumal in diesem Fall die Bejahung des religiösen Anspruchs des Judentums einhergeht mit der Ablehnung des gleichfalls religiös motivierten Anspruchs des Islams auf das Land Israel.

Epilog:

Das hermeneutische Problem

Für eine christliche Position zu den religiösen und den damit untrennbar verbundenen politischen Besitzansprüchen im Heiligen Land ist es unerlässlich, zuerst aufgrund der eigenen normativen Tradition zu klären, was zu dieser Frage gegebenenfalls ausgesagt werden kann und muss. Das ist grundlegend, aber doch in manchen Kreisen weit weniger selbstverständlich, als man annehmen sollte. Gerade sogenannte «bibeltreue» Kreise kennen in Bezug auf das Land und Israel einen Umgang mit der Bibel, als ob es das Neue Testa- ment nicht gäbe (was in Christen und Juden III ganz ähnlich behauptet wird).61 Dieser auf bestimmte prophetische Partien bezogene partielle Fundamentalismus (andere alttestamentliche Texte werden mit grösster Selbstverständlichkeit, jedoch zumeist ohne jede hermeneutische Absicherung, hinsichtlich ihrer Gegenwartsrelevanz relativiert) bildet die Basis des sogenannten christlichen Zionismus. Gleichwohl muss sich auch eine solche Position, wenn sie sich als «christlich» be- zeichnet, am Neuen Testament messen lassen. Aber auch die von einzelnen Vertretern des christlich-jüdischen Dialogs vertretene Landtheologie wäre daraufhin zu überprüfen, ob sie den bisherigen Konsens im Hinblick auf die relative Bedeutungslosigkeit des Landes für Jesus und das frühe Christentum zu Recht in Frage stellt, oder ob hier nicht zu stark (vermeintlichen) jüdischen Erwartungen entsprochen wird. Eine Lektüre und Beanspruchung des Alten Testaments ohne den neutestamentlichen Verstehenshorizont und an diesem vor- bei, d. h. an Christus vorbei, kann dagegen nicht als christliche Stellungnahme zu diesem Thema gelten. Ohne ins Detail gehen zu können, sind aus meiner Sicht folgende Punkte im Auge zu behalten, wenn man zu einer neutestamentlich begründbaren christlich-theologischen Position gelangen will.

  1. Das Christusereignis ist für die neutestamentlichen Autoren der Brenn- und Zielpunkt der biblischen Prophetie. Es kann darum aus christlicher Perspektive keine Erfüllung alttestamentlicher Verheissungen an diesem Zielpunkt vorbei geben. Es ist das Prisma, in dem alle Strahlen gebündelt und gebrochen werden. Und wenn einzelne Strahlen durch dieses Prisma hindurch nicht ausgefiltert, sondern durchgeleitet werden, dann sind sie dennoch verwandelt und können nicht betrachtet werden etsi Christus non daretur. Das gilt auch für den theologischen Umgang mit den Landverheissungen (vgl. etwa die Aufnahme von Gen 12–15 in Hebr 11,8–16).
  2. Dass diese Perspektive eine christliche ist, habe ich hervorgehoben. Dass jüdische Theologie und jüdischer Glaube mit den Verheissungen anders umgehen und sie anders deuten, ist ebenfalls deutlich und legitim. Aber es ist meines Erachtens nicht hilfreich und theologisch auch nicht angemessen, wenn christliche Zionisten einerseits oder Vertreter des jüdisch-christlichen Dialogs andererseits im Gespräch mit Israel diese dezidiert neutestamentliche Sichtweise ausser Betracht lassen. Dann bestätigen sie nur, was Israel schon weiss. Aber sie bringen in den Dialog (und in den politischen Konflikt, der ja gerade mit der religiösen Geographie argumentiert) nicht ein, was ihnen als Glaubensgut und heilsgeschichtlicher Erkenntnis aufgetragen und anvertraut ist.
  3. In der eschatologischen Erwartung nähert sich christ- liche Hoffnung am stärksten dem Thema des Landes wieder an, indem darin auch aus neutestamentlicher Perspektive Jerusalem im Mittelpunkt stehen wird.62 Jerusalem wird nach Lk 21,24 von den Heiden zertreten, bis die Zeiten der Heiden erfüllt sein wird. Verbunden ist damit bei allen drei Synoptikern das Gleichnis vom Feigenbaum: wenn er wieder grünt, dann beginnen diese Ereignisse sich zu erfüllen (Mk 13,28–32 und die entsprechenden Parallelstellen in Mt 24,32–36 und Lk 21,29–33; vgl. Lk 13,6–9). Der Feigenbaum kann hier als Metapher für Israel als Gottesvolk gesehen werden (vgl. Hos 9,10; Joel 1,7; immer in Verbindung mit dem Weinstock, vgl. Jes 5,1–7), so dass es durchaus legitim ist, die Errichtung des jüdischen Staates Israel als ein Geschehen zu interpretieren, das die Erfüllung der Zeiten als Teil auch der christlichen Hoffnung näher bringt. Und in diesem Kontext kann auch die Rückkehr Israels in das verheissene Land eine neue Bedeutung bekommen. Aber das ist ein Rahmen, den das Neue Testament bestimmt. Und darin besitzen genaue geographische Grenzziehungen keine Bedeutung. Ob ganz Jerusalem in israelischer Hand ist oder nur ein Teil oder ob Jerusalem wie zur Zeit Jesu unter einer fremden Herrschaft steht, ist unerheblich. Wenn Juden in Judäa und Samaria, auf den Bergen Israels, unter palästinensischer statt unter israelischer Herrschaft leben, hält das die Verheissungen Gottes nicht auf, noch werden dieselben dadurch beschleunigt, dass Israel die Gebiete annektiert – das muss dem christlichen Zionismus gegenüber, aber auch im Hinblick auf manche problematischen Sätze bei Friedrich-Wilhelm Marquardt oder Paul M. van Buren klar und eindeutig akzentuiert werden.
  4. Eine solche Haltung steht nicht im Widerspruch zur Respektierung des jüdischen Glaubensgehorsams als jüdischer Ausdruck der Treue zu Gott im Hinblick auf das dem Volk Israel verheissene Land. Dass jüdischer Glaube das ganze Land und die Herrschaft darüber als (Auf-)Gabe Gottes und Zeichen der Erwählung begreift, ist als legitime jüdische Position zu würdigen und auch gegenüber Angriffen zu verteidigen (wobei die Varianz jüdischer Stellungnahmen zur Landfrage nicht übersehen werden sollte). Geklärt werden muss dann aber, inwieweit diese Respektierung einer fremden Glaubenstradition auch gegenüber dem Islam und seinem religiös begründeten Anspruch auf das Land gilt und wie gegebenenfalls auf eine doppelte Beanspruchung zu reagieren ist.
  5. Diese Respektierung schliesst jedoch eine anders- lautende christliche Position gerade nicht aus, sondern ein. Christen zeigen ihre Liebe gegenüber Israel am besten darin, dass sie von ihren, in Jesus Christus gegründeten und durch den Heiligen Geist ermöglichten Einsichten in die Geschichte Israels von den Anfängen bis in die Gegenwart her berichten. Weil es derselbe Gott ist, den Juden und Christen – wenngleich aufgrund unterschiedlicher Offenbarungserfahrungen auf je verschiedene Weise – verehren, darum hat die christliche Erkenntnis dieses einen Gottes und seines Wortes dieselbe Dignität und denselben Anspruch, in einem gegenseitigen Gespräch gehört zu werden.
  6. Dabei gilt festzuhalten, dass dieses gegenseitige Hören nur freiwillig geschehen kann. Israel braucht nicht auf das hören, was Christen mit dem Gott Israels erfahren und von ihm verstanden haben. Umgekehrt sind Christen nicht verpflichtet, jüdische Gotteserfahrung und erkenntnis unterschiedslos für den eigenen Glauben als normativ anzuerkennen. Für beide Seiten gilt jedoch, dass die intensive Beschäftigung mit den Erfahrungen und Erkenntnissen des je anderen für das eigene Erfahren und Erkennen wichtig werden kann, so dass dieses Aufeinanderhören ausdrücklich zu fördern ist.
  7. Eine christliche Position zur Landfrage im Hinblick auf den geopolitischen Konflikt kann und soll meiner Ansicht nach nicht mehr als die beiden anderen grossen Religionen, die sich ebenfalls auf Abraham berufen, daran erinnern, es ihrem Stammvater gleich zu tun: Er glaubte an die Verheissung, dass Gott ihm dieses Land geben würde. Aber er begnügte sich, als Fremdling in diesem Land zu leben, den Frieden zu suchen, sein Recht vernünftig und pragmatisch einzuhandeln und auf die Anwendung von Gewalt um des Landes willen zu verzichten.63 Die Bereitschaft, um des Friedens und der Liebe willen im Vertrauen auf Gottes unbegrenzte Möglichkeiten nachzugeben, auch da, wo man vermeintlich im Recht ist, ist der genuine Beitrag den das Neue Testament in diesem Konflikt beitragen kann (vgl. nur Mt 5,5.40– 41). Von Abraham lernen heisst in diesem Fall, nachgeben lernen um des Friedens willen. Wir würden klein von Gott denken, wenn wir seine Verheissungen für sein Volk abhängig machten von bestimmten geopolitischen Entscheidungen. Dagegen spricht nicht nur die biblische Vätergeschichte, sondern auch das Zeugnis des Neuen Testaments.

Anmerkungen

* Überarbeitete Fassung eines Artikels erschienen in: Judaica 62 (2006), S. 309–330. In Teilen vorgetragen auf der Tagung

«Israel – Land der Gegenwart, der Geschichte, der Verheissung für Juden, Christen und Muslime. Erwägungen zu Religion und

Politik angesichts der Bedeutung des Landes für Juden, Christen und Muslime», veranstaltet von der Evangelisch-Jüdischen Gesprächskommission des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds am 12. September 2005 in Bern. Für alle Internetquellen erfolgte der letzte Zugriff am 6. Oktober 2018.

1 Das evangelikale, charismatische und pfingstkirchliche Verhältnis zu Israel und die in diesen Kreisen weit verbreitete Solidarität mit dem Staat Israel ist ohne den Dispensationalismus nicht zu verstehen, auch wenn viele Christen in diesen Kreisen selbst gar nicht wissen, dass sie eine dispensationalistisch ge- prägte Dogmatik haben. Arnold G. Fruchtenbaum, einflussreicher Vertreter einer dispensationalistischen Israelogie (und regel- mässiger Gastdozent am Giessener Institut für Israelogie), gibt als Definition – unter Aufnahme einer Formulierung von Charles

C. Ryrie, Dispensationalism Today, Chicago: Moody Press, 1965,

S. 31 – an: «Dispensationalism is that system of theology which […] ‹views the world as a household run by God. In this house- hold-world God is dispensing or administering its affairs according to His own will and in various stages of revelation in the processs of time. These various stages mark off the distinguishably different economies in the outworking of His total purpose, and these economies are the dispensations.› In this system there are usually, but not always, seven such dispensations» (Arnold G. Fruchten- baum, Israelology. The Missing Link in Systematic Theology, Tustin: Ariel Ministries, 1996 [11989], S. 3; zu einer ausführliche- ren Definition siehe ebd., S. 318–331). In der dispensationalis- tischenen Zeitalter-Lehre rangiert die Kirche lediglich als «a parenthesis in the working of God with the Jews in the Old Testament, and the Jews in the millennium» (Peter E. Prosser, Dispensationalist Eschatology and Its Influence on American and British Religious Movements, Lewinston: Mellen, 1999, S. 74). Begründer dieser Lehre ist John Nelson Darby (1800–1882), dessen Ideen von Cyrus I. Scofield (1843–1921, die erste Aus- gabe der Scofield-Bible erschien 1909) aufgenommen und ver- breitet wurden. Zu Darby siehe jetzt die Arbeit von Berthold Schwarz (dem Leiter des weiter unten erwähnten «Institut für Israelogie»), Leben im Sieg Christi. Die Bedeutung von Gesetz und Gnade für das Leben des Christen bei John Nelson Darby, Giessen: Brunnen, 2008. Das Endgeschehen im Zusammenhang mit der Parusie Christi findet nach diesem Schema in Israel statt (was auch dem neutestamentlichen Befund entspricht), wobei von einer eigenstaatlichen Existenz der Juden in ihrem Land aus- gegangen wird (als Erfüllung der prophetischen Verheissungen, die vom Ende des Exils sprechen: davon weiss das Neue Testament nichts). Die prophetischen Verheissungen werden also exklusiv und wörtlich auf die Juden und das Land bezogen, weshalb der Dispensationalismus inkommensurabel mit jeder Form einer Substitutionstheologie ist (P. E. Prosser, Dispensationalist Eschatology, S. 76; vgl. auch Erich Sauer, Der Triumph des Ge- kreuzigten. Ein Gang durch die neutestamentliche Offenbarungsgeschichte. Mit 90 Predigtentwürfen, Wuppertal und Zürich: Brockhaus, 81962 [11937], S. 172). Das erklärt das starke Interesse an Israel seit 1948 (P. E. Prosser, Dispensationalist Eschatology, S. 79–80 und 82–84 und öfter). Das der Freien Theologischen Akademie (jetzt Freie Theologische Hochschule) Giessen angegliederte Institut für Israelogie (getragen von der Fritz May- Stiftung; http://www.israelogie.de) vertritt eine dispensationalistische Israelogie mit wissenschaftlichem Anspruch. International führend ist das Dallas Theological Seminary in Texas, dessen Gründer Lewis Sperry Chafer (1871–1952) mit einer achtbändigen

Systematic Theology (1947) auch deren Theologie massgeblich prägte und noch prägt. Weitere wichtige Vertreter sind die (deut- schen) Brüdergemeinden (Bibelschule Wiedenest als Ausbil- dungsstätte) und hier wiederum als Autoren Erich Sauer (1898– 1959, von 1937–1959 Studienleiter in Wiedenest, vgl. Horst Aff- lerbach, Die heilsgeschichtliche Theologie Erich Sauers, Wupper- tal: Brockhaus, 2006) und Ernst Schrupp (1905–2005). Als pro- minentester internationaler Vertreter, der auch im deutschen Sprachraum durch Vorträge und Übersetzungen präsent ist, kann der Judenchrist Arnold G. Fruchtenbaum gelten. Ein weiterer – einstmals sehr einflussreicher Vertreter – ist der apokalyptische Bestseller-Autor Hal Lindsay, dessen Homepage einen eindrucks- vollen Einblick in diese (bis jetzt noch) typisch amerikanische Vermischung von Religion, Politik und Israel ermöglicht (www. hallindseyoracle.com). Vgl. als Überblicke Helge Stadelmann,

«Dispensationalismus», in: Helmut Burkhardt und Uwe Swarat

(Hrsg.), Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, Bd. 1, Wuppertal und Zürich: Brockhaus, 1992, S. 449, und die nuancierte Neubearbeitung dieses Artikels durch Christoph Raedel, «Dispensationalismus», in: Heinzpeter Hempelmann und Uwe Swarat (Hrsg.), Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemein- de. Neuausgabe, Bd. 1, Holzgerlingen: SCM R. Brockhaus, 2017,

S. 1490–1493; Timothy P. Weber, On the Road to Armageddon. How Evangelicals Became Israel’s Best Friend, Grand Rapids: Baker Academic, 2004; Gerhard Gronauer, «Der Staat Israel in der pietistisch-evangelikalen Endzeitfrömmigkeit nach 1945», in: Gudrun Litz, Heidrun Munzert und Roland Liebenberg (Hrsg.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European Church History. Festschrift für Berndt Hamm zum

60. Geburtstag, Leiden: Brill, 2005, S. 797– 810.

  1. Vgl. Uwe Gräbe, «The Significance of the Land for a ‹Theology after Auschwitz› in the European/ North American Context and the Response of Palestinian Christians», in: Al-Liqa’ Journal 9–10 (1997), S. 34–52.

  2. Petra Heldt und Malcolm Lowe, «Theological Significance of the Rebirth of the State of Israel. Different Christian Attitudes», in: Immanuel 22–23 (1989), S. 133–145; vgl. Moshe Aumann, Juden, Christen, Israel. Nach 2000 Jahren Verfolgung und Feind- schaft – ein Neuanfang, Giessen: Brunnen, 2005, S. 213–215 [Originalausgabe: Conflict & Connection. The Jewish-Christian- Israel Triangle, Jerusalem: Gefen, 2003].

  3. Vgl. Andreas Goetze, «Israel in der Theologie christlicher Palästinenser», in: Deutsches Pfarrerblatt 121 (1996), S. 62– 65. Grundlegend: Naim Stifan Ateek, Recht, nichts als Recht! Entwurf einer palästinensisch-christlichen Theologie, Freiburg im Breisgau, Exodus, 1990 [Originalausgabe: Justice, and only Justice. A Palestinian Theology of Liberation, Maryknoll: Orbis Books, 1989]; vgl. auch Naem Ateek, «Gottes Verheissungen für die arabischen Völker», in: Begegnung auf dem Ölberg. Die Referate einer jüdisch-arabisch-christlichen Begegnungswoche unter dem prophetischen Wort in Jerusalem, August 1975, Heilbronn: Paulus, 1976, S. 50–58; Naim Ateek, «An Arab-Israeli’s Theological Reflections on the State of Israel after 40 Years», in: Immanuel 22–23 (1989), S. 102–119; Mitri Raheb, Ich bin Christ und Palästinenser. Israel, seine Nachbarn und die Bibel, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1994; Uwe Gräbe, Kontextuelle palästinensische Theologie. Streitbare und umstrittene Beiträge zum ökumenischen und interreligiösen Gespräch, Erlangen: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene, 1999.

  4. E. Sauer, Der Triumph des Gekreuzigten (Anm. 1), S. 160.

  5. Fritz May, Israel heute – ein lebendiges Wunder. Ein aktueller Streifzug durch die Gegenwart Israels, Asslar: Schulte & Gerth, 31991 [11990], S. 131; vgl. Fritz May, «Gelten die Landverheissungen für Israel heute noch?», in: ideaSpektrum, Heft 5 (1997), S. 21–22: Für May ist es eindeutig, dass «nach dem

    ‹Völkerrecht Gottes› […] die ‹Berge Israels› […] von seinem auserwählten Volk Israel für immer in Besitz genommen und besiedelt werden» müssen. Siedlungspolitik ist in dieser Sicht der einzige Weg, Gott gehorsam zu sein, vgl. dazu auch Johannes Gerloff, Jerusalem – die Stadt des grossen Königs. Theologisches und Politisches aus dem Tagebuch eines Korrespondenten, Holzgerlingen: Hänssler, 2001; Johannes Ger loff, Jüdische Siedlungen. Kriegsverbrechen oder Erfüllung biblischer Prophetie?, Holzgerlingen: Hänssler, 2002. Die beiden Bändchen bestehen weitgehend aus Artikeln, die Johannes Gerloff für den «Israelreport» des von der Konferenz evangelikaler Publizisten herausgegebenen Informationshefts pro. Christliches Medienmagazin schrieb (und noch immer schreibt). Er betreibt ausserdem die Internetseite https://www. israelnetz.de.

  6. Vgl. dazu die Darstellung von Malcolm Hedding, dem ehemaligen Geschäftsführer der Internationalen Christlichen Botschaft in Jerusalem (siehe unten Anm. 10), Biblischer Zionismus, 5 Bde., Stuttgart: Internationale Christliche Botschaft Jerusalem. Deut- scher Zweig, 2009.

  7. Vgl. den Bericht über das von der ICEJ (siehe unten Anm. 10) veranstaltete Laubhüttenfest 2004 von Guido Baltes, «Israel- freunde vor neuen Herausforderungen. Wie weit geht die Freundschaft?», in: Israelreport 5 / 2004 [siehe Anm. 6], S. 6–7). Ähnlich auch Heinz Reusch, Ein Land wird geteilt. Wie «grenzenlos» ist Israel?, o. O. 32003 (das 48-seitige Heft kann unter an- derem über www.feigenbaum.de bezogen werden), S. 47: Alle, die Israel zu einer Rückgabe oder Teilung des Landes raten oder drängen «machen […] sich reif zum Gericht». Eine erweiterte Neuauflage dieser Publikation liegt vor: Johannes Gerloff und Heinz Reusch, Grenzenloses Israel. Ein Land wird geteilt, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2015.

  8. Vgl. Martin Kloke, «Mobilmachung im Milleniumsfieber. Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland», in: israel & palästina, Heft 59 (2000), S. 25–28 (die Zeitschrift israel & palästina wird vom Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten herausgegeben, vgl. https://diak.org/).

  9. Die International Christian Embassy Jerusalem wurde 1980 von Johann Luckhoff gegründet, sein Nachfolger von 2000 bis 2011 war Malcolm Hedding. Seit 2011 ist Jürgen Bühler Geschäfts- führer. Website: https://int.icej.org; der deutschsprachige Zweig ist unter https://de.icej.org zu finden.

  10. Vgl. M. Aumann, Juden, Christen, Israel (Anm. 3), S. 220.

  11. Vgl. aber Friedrich-Wilhelm Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürfen? Eine Eschatologie, Gütersloh: Kaiser, 3 Bde., 1993–1996, hier Bd. 2, S. 187–285; Paul M. van Buren, A Theology of the Jewish-Christian Reality, Teil 2: A Theology of the People of Israel, Lanham: University Presss of America, 1995 [11983], S. 184–209.

  12. Vgl. Evangeliumsdienst für Israel, in: Gesandt zu Israel 34, Nr. 4 (August 2005), S. 10–11.

  13. Hier ist positiv auf die Studie Kirche und Israel der Leuenberger Kirchengemeinschaft zu verweisen, die das Judenchristentum in Vergangenheit und Gegenwart ausdrücklich in die Über- legungen miteinbezieht, wenngleich es personell bei den Gesprächen nicht vertreten war. Vgl. Kirche und Israel. Ein Bei- trag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden. Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenbeger Kirchengemeinschaft herausgegeben von Helmut Schwier, Frankfurt am Main: Lembeck, 32004.

  14. Vgl. image Songbook for Messianic Worship,

Tiberias: Peniel Fellowship, 1998. Als Beispiele kann auf Lied

155 (zu Hanukka) und 85 (eine Art Credo-Lied, in dem das Evangelium zusammengefasst ist) verwiesen werden.

  1. Baruch Maoz, «Der Nahostkonflikt aus politischer und christlicher Sicht», in: Andreas Meyer (Hrsg.), Das biblische Land. Israel zwischen göttlicher Verheissung und menschlicher Untreue, Bettingen: Winteler/ Lahr: Johannis, 1999, S. 33– 49, hier S. 49.

  2. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit des christlichen Palästinen- sers Salim J. Munayer, der die jüdisch-palästinensische Versöhnungsarbeit Musalaha gründete, in der auch judenchristliche Gemeinden beteiligt sind, vgl. Salim J. Munayer (Hrsg.), Dem Frieden nachjagen. Menschen im Nahen Osten auf dem Weg zur Versöhnung, Bettingen: Winteler/ Lahr: Johannis, 2000 [Originalausgabe: Seeking and Pursuing Peace. The Process, the Pain and the Product, Jerusalem: Yanetz Ltd., 1998].

  3. Zu nennen sind hier unter anderen David Jaffin, Ludwig Schneider und Alice Naumoff, die alle durch Publikationen und Vorträge in deutschsprachigen Kirchen und Gemeinden ein gros- ses Publikum erreichen. Vgl. dazu auch Kloke, «Mobilmachung im Milleniumsfieber» (Anm. 9).

  4. Vgl. dazu Volker Stolle, «Der Staat Israel und die christliche Endzeiterwartung», in: Lutherische Theologie und Kirche 16 (1992),

    S. 67–82, hier S. 76–77; Hermann Lichtenberger, «Im Lande Israel zu wohnen wiegt alle Gebote der Tora auf», in: Reinhard Feldmeier und Ulrich Heckel (Hrsg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, Tübingen: Mohr, 1994, S. 92–107; Wolf- gang Kraus, «‹Eretz Jisrael›. Die territoriale Dimension in der jüdischen Tradition als Anfrage an die christliche Theologie», in: Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Otto Merk (Hrsg.), Kirche und Volk Gottes. Festschrift Jürgen Roloff zum 70. Geburtstag, Neukirchen- Vluyn: Neukirchener Verlag, 2000, S. 19–41, hier S. 30–36.

  5. Vgl. Georg Strecker, «Das Land Israel in frühchristlicher Zeit», in: Georg Strecker (Hrsg.), Das Land Israel in biblischer Zeit. Jerusalem-Symposium 1981 der Hebräischen Universität und der Georg-August-Universität, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983, S. 188–200, hier S. 195–199.

  6. Ebd., S. 195. Grundlegend dafür war die grosse Arbeit von William D. Davies, The Gospel and the Land. Early Christianity and Jewish Territorial Doctrine, Berkeley; University of California Press, 1974, vgl. besonders S. 161–376; siehe ausserdem Frank- Lothar Hossfeld, «Die Metaphorisierung der Beziehung Israels zum Land im Frühjudentum und im Christentum», in: Ferdinand

    Hahn, Frank-Lothar Hossfeld, Hans Jorissen und Angelika Neuwirth (Hrsg.), Zion – Ort der Begegnung. Festschrift für Laurentius Klein zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Bodenheim: Athenäum Hain Hanstein, 1993, S. 13–33.

  7. Vgl. dazu die «Handreichung» des Gesprächskreises «Ju- den und Christen» beim Zentralkomitee der deutschen Katholi- ken für eine «Reise ins Heilige Land» vom August 1983, in: Rolf Rendtorff und Hans Hermann Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1: Dokumente von 1945 –1985, Paderborn: Bonifatius, 32001 [11988], S. 288–303, hier S. 303: «Nicht die einzelnen Stätten als solche, zu denen man reisen kann, sind dinghafte Träger von Heiligkeit. Aber der Auftrag zur Heiligung von Mensch und Welt hat von hier seinen Ausgang genommen. Das Heilige Land trägt seinen Namen vom Auftrag und von der Zusage solcher Heiligung her: ‹Ihr sollt (könnt) heilig sein, denn heilig bin ICH euer Gott› (Lev 19,2).» In der Fortsetzung wird dann der mit dem Land verbundene Verheissungscharakter betont, der Ju- den und Christen gilt und auch eine Hoffnung für die Zukunft hat (siehe auch den Abschnitt zu «Der Christ und der Staat Israel», ebd., S. 296–297). Vgl. ferner den «Arbeitsbericht über die Tagungen 1991–1995 zum Thema Erwägungen zur theologischen Bedeutung des Landes Israel vom 4. Januar 1996» vom Vorstand der Lutherischen Europäischen Kommission Kirche und Judentum, in: Wolfgang Kraus und Hans Hermann Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2: Dokumente von 1986 –2000, Paderborn: Bonifatius, 2001, S. 462– 469, hier S. 466– 467; aus- serdem Amy Dockser Marcus, Tempelberg und Klagemauer. Die Rolle der biblischen Stätten im Nahost-Konflikt, Wien und Frankfurt am Main: Deuticke, 2000 [Originalausgabe: The View from Nebo. How Archaeology Is Rewriting the Bible and Reshaping the Middle East, Boston: Little, Brown and Company, 2000].

  8. Gerade im Bereich der Pilgerliteratur finden sich Hinweise, die davor warnen, die Bedeutung des Heiligen Landes als Ort besonderer religiöser Erfahrungen zu überhöhen, vgl. die Hin- weise auf Hieronymus und Gregor von Nyssa bei Vinzenz Mora, OSB (Dormitio-Abtei, Jerusalem), «Christliches Gedächtnis», in: Welt und Umwelt der Bibel Nr. 1 (1996), S. 25–29.

  9. Vgl. Christoph Auffarth, «Jerusalem zwischen apokalyptischer Gewalt und ewigem Frieden – Religiöse Motive der Kreuzfahrer», und Jonathan Riley-Smith, «Gründung und Verwaltung der lateinischen Siedlungen in der Levante», in: Alfried Wieczorek, Mamoun Fansa und Harald Meller (Hrsg.), Saladin und die Kreuz-ahrer. [Begleitband zur Sonderausstellung «Saladin und die Kreuzfahrer», Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale),

    21. Oktober 2005–12. Februar 2006; Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg, 5. März 2006–2. Juli 2006; Reiss- Engelhorn-Museen Mannheim, 23. Juli 2006–5. November 2006], Mainz: Philipp von Zabern, 2005, S. 37– 45 und 47–59: Eine religiös motivierte Inbesitznahme ist nirgends erkennbar.

  10. Einige Hinweise müssen hier genügen. In jüngster Zeit hat sich vor allem der lutherische Theologe Wolfgang Kraus für eine Neubesinnung des Landes Israel im Rahmen einer biblischen Theologie eingesetzt, vgl. «‹Eretz Jisrael›» (Anm. 19) und «Das

    ‹Heilige Land› als Thema einer Biblischen Theologie», in: Wolf- gang Kraus und Karl-Wilhelm Niebuhr (Hrsg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit ei- nem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamen- ti, Tübingen: Mohr Siebeck, 2003, S. 251–274. In der Jesusforschung gibt es da Ansätze zu einer Neubesinnung auf das Land, wo Jesus mit einer starken Restaurationserwartung (wie sie unter anderem hinter Apg 1,6; Lk 24,21 erkennbar ist) verbunden wird: die zwölf Jünger als Repräsentanten der zwölf Stämme stehen hier für eine Neuaufrichtung auch der territorialen Dimension des davidischen Reiches (Jesus als Sohn Davids), die sogenannte Tempelreinigung ist der Beginn der messianischen Inbesitznahme des ganzen Landes; die zelotischen und politischen Nebentöne in der Anklage gegen Jesus und seine Hin- richtung durch die Römer können ebenfalls damit verbunden werden. Ein weiterer Aspekt wird aus der frühchristlichen Ge- schichte und Mission gewonnen, wo möglicherweise ebenfalls eschatologische Landkonzepte im Hintergrund standen, womit zumindest indirekt ein Einfluss dieses Denkens auch auf Jesus möglich erscheint, vgl. Markus Bockmuehl, «Antioch and James the Just», in: Bruce Chilton und Craig A. Evans (Hrsg.), James the Just and Christian Origins, Leiden: Brill, 1999, S. 155–198; unter dem Titel: «James, Israel and Antioch», auch in: Markus Bock- muehl, Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Be- ginning of Christian Public Ethics, Edinburgh: T & T Clark, 2000 (= Grand Rapids: Baker Academic, 2003), S. 49–83.

  11. Ich übergehe hier die sozial-ethisch motivierten Verlautbarungen, in denen zu einem gerechten Verhalten gegenüber den Palästinensern aufgefordert wird. Sie sind nicht durch eine be- sondere Landtheologie motiviert, sondern Bestandteil des welt- weiten kirchlichen Engagements für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

  12. Vgl. Detlef Görrig, Die Wurzel trägt. Israels «bleibende Erwählung» und die «Mission» der Kirche, Frankfurt am Main: Lembeck, 2004.

  13. Vgl. dazu auch die Zusammenstellungen bei Johannes Ehmann, «Solidarität mit dem Staat Israel? Der Staat Israel in evangelischen und ökumenischen Dokumenten und Verlautbarungen«, in: Kirche und Israel. Neukirchener Theologische Zeitschrift 7 (1992), S. 149–160; V. Stolle, «Der Staat Israel» (Anm. 19), S. 73–76.

  14. In: R. Rendtorff und H. H. Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1 (Anm. 22), S. 461– 478. 30 Ebd., S. 462. 31 Ebd., S. 468; vgl. S. 473. 32 Ebd., S. 469. 33 Ebd., S. 474. 34 Ebd., S. 475. 35 Ebd., S. 466.

36 In: R. Rendtorff und H. H. Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1 (Anm. 22), S. 558–578. Wieder abgedruckt in: Christen und Juden I–III. Die Studien der Evangelischen Kirche in Deutschland 1975 –2000, hrsg. im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2002, S. 15–52 (Seiten- zahlen aus dieser Ausgabe in Klammern hinzugefügt).

37 Ebd., S. 572–573 (S. 37–38). 38 Ebd., S. 572 (S. 37). 39 Ebd., S. 573–574 (S. 38– 40).

  1. Nach V. Stolle, «Der Staat Israel» (Anm. 19), S. 74 (mit Anm. 15), sogar ausdrücklich verneint, doch finde ich das von ihm hierfür genannte Zitat in der Dokumente-Sammlung nicht.

  2. In: R. Rendtorff und H. H. Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1 (Anm. 22), S. 493– 498. 42 Ebd., S. 496– 497. 43 Ebd., S. 498. 44 In: R. Rendtorff und H. H. Henrix (Hrsg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1 (Anm. 22), S. 616– 620. 45 Ebd., S. 619.

  1. Ich meine, dass sich drei Phasen der kirchlichen Stellung zu Israel unterscheiden lassen, die sehr stark von den politisch- historischen Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts geprägt sind: eine frühe Phase von 1948 bis Anfang der siebziger Jahre, in der das Geschehen der Schoa und das «an ein Wunder grenzende» Überleben Israels in den Kriegen von 1948 bis 1967 im Vordergrund stand; dann die mittlere Phase, eingeleitet durch den Yom- Kippur-Krieg 1973 und den damit verbundenen Wechsel in der israelischen Politik und damit einhergehend der Beginn der Besiedelungspolitik in den eroberten Gebieten. Der Ton in dieser Phase ist kühler, die Haltung zum jüdischen Volk wird getrennt von der Solidarität mit dem Staat Israel; erst mit dem ersten Golfkrieg und der damit verbundenen existentiellen Bedrohung Israels als einer Nation änderte sich die Haltung wieder, zumal durch die Kriege in Ex-Jugoslawien auch in Europa die Bedrohung durch den militanten Islam stärker wahrgenommen wurde und so Israels schwierige geo-politische Lage eher verstanden wurde.

  2. Vgl. den «Arbeitsbericht über die Tagungen 1991–1995» (Anm. 22), S. 463.

  3. Ebd.

  4. Christen und Juden III. Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum. Eine Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2000. Wieder abgedruckt in: Christen und Juden I–III (Anm. 36), S. 113–214 (Seitenzahlen aus dieser Ausgabe in Klammern hinzugefügt). 50 Ebd., S. 81–88 (S. 188–195). 51 Ebd., S. 81 (S. 188).

  1. Ebd.

  2. Mit derselben Schwierigkeit kämpft auch die oben Anm. 14 erwähnte Studie Kirche und Israel der Leuenberger Kirchengemeinschaft, die in ihrem 3. Teil «Die Kirche in Israels Gegenwart» unter 1.1.3. plötzlich den Sprachgebrauch im Hinblick auf «Israel» von einem theologischen hin zum politischen, auf den Staat Israel bezogenen, verändert (immerhin angedeutet in der Einleitung S. 13). Das ist der einzige Punkt, wo der Staat überhaupt erwähnt wird. Auch hier findet sich der Hinweis, dass eine mögliche theologische Bedeutung der Staatsgründung Israels unter Christen kontrovers ist, eindeutig wird jedoch «jede direkte politische Inanspruchnahme der biblischen Landverheissungen» zurückgewiesen (S. 76).

  3. Christen und Juden III (Anm. 49), S. 81 (S. 188) (Hervorhebung im Original). Vgl. als dispensationalistische Gegenposition dazu Ernst Schrupp, Israel in der Endzeit. Heilsgeschichte und Zeitgeschehen, Wuppertal und Zürich: Brockhaus, 31992 [11991],

S. 48–62. Hier heisst es unmissverständlich: «Wir erleben Israels Rückkehr in sein Land als ein ‹Endzeitzeichen ersten Ranges›, als Zeichen für die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes» (S. 49; in diesen Kreisen wird der Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland «Zur Erneuerung des Verhältnis- ses von Christen und Juden» vom 11. Januar 1980, besonders die These 3, wonach die «fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheissung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind» [zitiert auf S. 78] sehr positiv rezipiert). Als weiteres bestätigendes ‹Zeichen› gilt die Fruchtbarmachung der Wüste durch jüdische Besiedlung: «Hier erfüllen sich prophetische Aussagen» (S. 56). Ebenfalls in vollem Wortlaut abgedruckt ist die Unabhängigkeitserklärung Israels vom 14. Mai 1948 (S. 57– 61), bei der besonders der Passus über die Propheten für diese Kreise wichtig ist: «Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. Er wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein.» Obligatorisch in dieser Literatur ist jeweils auch ein Abschnitt über «Die Frage nach Israels Grenzen» (S. 61–62). Hauptbelege dafür sind Gen 15,18; Jos 1,4; Ez 47,15–20; vgl. dazu auch Ernst Schrupp, Israel und das Reich des Islam. Zeit- geschehen im Licht biblischer Heilsgeschichte. Endzeitliche Perspektiven, Wuppertal und Zürich: Brockhaus, 1992, S. 21– 27 und öfter. Nach Schrupp ist das heutige Israel jedoch «heils- geschichtlich» nicht verpflichtet, dieses Gebiet schon jetzt zu erobern.

55 Ebd., S. 83 (S. 190).

  1. Ebd.

  2. Die Diskussion um die theologische Würdigung der Wiedervereinigung Deutschlands als einem Geschenk Gottes, wie sie vor allem von konservativen und evangelikalen Kreisen vertreten wird, zeigt, wie schwierig es ist, einzelne historische Ereignisse in Gottes «Plan» zu verorten.

  3. Christen und Juden III (Anm. 49), S. 86 (S. 193).

  4. Vgl. dazu Wolfgang Kraus, «Das ‹Heilige Land› als Thema einer Biblischen Theologie» (Anm. 25), S. 272–274, unter Auf- nahme von Ulrich Luz, «Ein Traum auf dem Weg zu einer Bib- lischen Theologie der ganzen Bibel. Ein Brief an Peter Stuhl- macher», in: Jostein Ådna, Scott J. Hafemann und Otfried Hofius (Hrsg., in Zusammenarbeit mit Gerlinde Feine), Evangelium –

    Schriftauslegung – Kirche. Festschrift für Peter Stuhlmacher zum 65. Geburtstag, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1997, S. 279–287, hier S. 285.

  5. Christen und Juden III (Anm. 49), S. 87–88 (S. 194–195).

  6. Vgl. oben zu 4.6.3.

  7. Vgl. die oben unter Punkt 3 erwähnte Handreichung der Niederländischen Reformierten Kirche vom 16. Juni 1970.

  8. Vgl. unter anderem Gen 13,1–18; 23; 26,12–33. Das Verhältnis der Erzväter zur Landverheissung und zum Land bietet Modelle des Zusammenlebens und der Konfliktvermeidung, deren Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist.

«Between Right and Right»?

Multiperspektivität als Heraus forderung im Geschichtsunterricht zum Thema Nahostkonflikt*

Sabina Brändli**

Welchen Stellenwert hat der Nahostkonflikt im Geschichtsunterricht in der Deutschschweiz in Volksschule und Gymnasien? Der Blick in Lehrpläne und Lehrmittel zeigt, dass das Thema auf Sekundarstufe nicht zwingend zum obligatorischen Schulstoff gehört. Der bisherige, aktuelle Lehrplan im Kanton Zürich beispielsweise gibt für den Geschichtsunterricht in der Volksschule prinzipiell keine Inhalte mehr vor, sondern legt unabhängig von konkreten Stoffen fest, welche Fähigkeiten die Lernenden ausbilden müssen.1 Die Auswahl der historischen Inhalte ist also hier wie bei anderen deutschschweizerischen Lehrplänen aus der Generation der 1990er-Jahre nicht vorgegeben. Im künftigen Lehrplan 21 wird der Nahostkonflikt zwar als ein mögliches Beispiel aufgeführt, das sich für einen Längsschnitt eignet, ohne das Thema da- durch für obligatorisch zu erklären.2 Obwohl die heutigen Lehrpläne tendenziell kaum mehr Themen vorgeben, hat sich die Tradition herausgebildet, welche durch die zur Verfügung stehenden Lehrmittel unterstützt wird. Der Einblick in die Schulzimmer zeigt allerdings, dass der Nahostkonflikt nicht zum Kanon der üblichen Inhalte auf der Sekundarschulstufe I gehört. Nach wie vor endet der Geschichtsunterricht in der Volksschule häufig mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wenn Lehrpersonen die Zeit nach 1945 thematisieren, fällt die Wahl nicht zwingend auf den Nahostkonflikt. In den Gymnasien der nachobligatorischen Sekundarstufe II fallen die Lehrpläne in die Kompetenz der einzelnen Schulen. Auch da gehört der Inhalt meist nicht zum Pflichtstoff. In Wahl- fächern hingegen gehört er zu den beliebten Inhalten.

In den aktuellen Lehrmitteln für Sekundarstufe I wird der Nahostkonflikt nicht zwingend abgehandelt. Während das letzte für die Volksschulen im Kanton Zürich obligatorisch anzuschaffende Geschichtslehrmittel, das im Jahr 1991 erstmals erschienene Durch Ge- schichte zur Gegenwart, ein Kapitel dazu enthält,3 fehlt in der neuesten Generation von Geschichtslehrmitteln für die Volksschule in der Deutschschweiz ein solches Kapitel vollständig. Im Lehrmittel Menschen in Zeit und Raum ist der Nahostkonflikt kein Thema.4 Das Schweizer Geschichtsbuch hingegen, das auf der Gymnasialstufe verwendet wird, enthält ein umfangreicheres und empfehlenswertes Kapitel.5

In der aktuellen Situation ist die Wahlfreiheit der Geschichtslehrperson bezüglich der zu behandelnden Stoffe gross. Deshalb spielen in der Ausbildung der Geschichtslehrpersonen die Kriterien zur Auswahl von Inhalten eine zentrale Rolle. Der deutsche Bildungstheoretiker Wolfgang Klafki hat mit seiner wegweisen- den «Didaktischen Analyse» mit den Begriffen Exemplarität, Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung und den postulierten Schlüsselproblemen Kriterien für die Auswahl von Inhalten formuliert.6 Es fällt deshalb nicht schwer, die Wahl des Nahostkonfliktes als Schulstoff zu begründen.

Friedenssicherung gehört zu den zentralen Schlüssel- fragen, die gemäss Klafki im Geschichts- und Politikunterricht fokussiert werden sollen. Der komplexe Kon- flikt eignet sich als Beispiel, um exemplarische Konflikt- lösungsstrategien kennen zu lernen und Chancen und Grenzen dieser Strategien auszuloten. Allerdings ist zu bedenken, dass die andauernde Erfolglosigkeit bisheriger Friedensbemühungen an der Überzeugung nagt, dass der Konflikt sich zur Bearbeitung in der Schule eignet. Der Konflikt ist nicht abgeschlossen, sondern hat in der Gegenwart und für die Zukunft eine hohe Bedeutung – gerade weil keine einfache Lösung in Sicht ist. In dem Heft zum Thema Nahostkonflikt der fach- didaktischen Zeitschrift Praxis Politik formuliert Monika Ebertowski das Problem folgendermassen:

Das Kennenlernen von Konfliktlösungsstrategien und internationalem Krisenmanagement führt nicht zur Lösung, sondern nur zur Entwicklung von Szenarien, die Kriterien geleitet bewertet werden können. Diese Offenheit macht den Unterricht spannend. Historische Konflikte sind auf Grund ihrer Abgeschlossenheit, der Angebote an Fachliteratur und didaktischem Material anders zu handhaben. Der Nahostkonflikt ist beides – historisch und aktuell.7

Der historische Anteil ist fachwissenschaftlich und fachdidaktisch gut aufbereitet. Dem aktuellen Geschehen jedoch hinkt jedes Lehrmittel naturgemäss stets nach: Es ist immer bereits bei Drucklegung veraltet. Das macht den Unterricht in der Tat spannend, aber auch sehr anspruchsvoll. Keinesfalls sollte das Thema aufgeschoben werden, bis eine Lösung in Sicht ist. Im Konflikt kristallisieren sich lokale, regionale bis zu globalen Konfliktlinien, die bei der Thematisierung herausgearbeitet und sichtbar gemacht werden können. In der Deutschschweiz gehört das Thema wie erwähnt nicht zum Kanon der selbstverständlich zu bearbeitenden Stoffe. In Deutschland sieht die Situation anders aus.

Monika Ebertowski weist auf die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel hin und leitet daraus ab, dass dieser Konflikt einen besonderen Rang

bei der Behandlung im Schulunterricht einnimmt. Zudem wird auf die hohe Zahl von Flüchtlingen mit «arabisch- palästinensischem Migrationshintergrund» in den Klassenzimmern verwiesen, und darin ein Appell gesehen, den Perspektivenwechsel in die andere Richtung nicht zu vernachlässigen.8 Dass die multikulturelle Gesellschaft die Shoa Education mit neuen Herausforderungen konfrontiert, wird seit Jahren diskutiert.9 Dasselbe gilt für den Nahostkonflikt.

Auf Grund der ständig dem aktuellen Geschehen hinterher hinkenden Lehrmittel gilt die Einschätzung des deutschen Lehrmittels auch für die Situation bei uns. Das erwähnte Heft begründet den Schwerpunkt der Nummer folgendermassen:

Zu oft agieren die Unterrichtenden auf dem Glatteis der Empathie, zwischen gesicherten Fakten und Kenntnissen und dem Zugeständnis, die Lage nicht wirklich ein- schätzen und eine Lösung nicht ableiten zu können.10

Die Lehrmittel unterstützen die Lehrpersonen einerseits in der Analyse des Konfliktes und andererseits bei der Aufbereitung geeigneter Materialien für den Unterricht. Durch die Aktualität des Themas werden beide Hilfestellungen ständig durch neue Geschehnisse überholt. Diese grundsätzliche Schwierigkeit, die aktuelle politische Probleme als Schulstoff mit sich bringen, wird zudem verschärft, wenn sich durch aktuelle Geschehnisse neue Spannungsfelder ergeben, wie etwa nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder nach dem Wahlerfolg der Hamas in den besetzten Gebieten. Das «Zugeständnis, die Lage nicht wirklich einschätzen» zu können, trägt dazu bei, dass Lehrpersonen das Thema zu Gunsten eines weniger komplexen meiden.

Welche weiteren Herausforderungen stellt das Thema für den Geschichts- und Politikunterricht auf der Oberstufe dar? Welche spezifischen Voraussetzungen für das historische Lernen sind bei diesem Thema zu berücksichtigen?

Lernvoraussetzungen:

Distanz, Wissen, Vorstellungen und Vorurteile

Der Nahostkonflikt ist für Lernende in der Deutschschweiz zunächst einmal weit weg, obwohl Bilder von Krieg, Terror und Gewalt aus den TV- und Computer- Bildschirmen in die heimischen Wohnzimmer dringen. Ohne persönlichen Bezug bleiben die Schauplätze der Gewalt abstrakt und beliebig. Es beeindruckt mich jedes Mal, wenn deutlich wird, dass nicht wenige Studierende Israel auf der Weltkarte nicht verorten können. Die naive Frage von Studierenden «Wo liegt denn eigentlich Palästina?» führt dann rasch in Zentrum des Themas. Auch das Vorwissen bezüglich des Konfliktes ist häufig gering. Wer die Akteure im Einzelnen sind, ist nicht nur für Jugendliche, sondern oft auch für Studierende in der Ausbildung zur Lehrperson nicht von Anfang an klar. Wenn die Palästinenser keinen Staat haben, wer sind sie denn eigentlich? Angesichts des eben geschilderten Stellenwerts des Themas auf Gymnasialstufe ist dies nicht weiter erstaunlich. Die vereinzelten Studierenden mit solidem Grundwissen können in der Regel auf entsprechende Unterrichtseinheiten in Wahlfachkursen zurückgreifen. Zum fehlenden Basiswissen bezüglich des Konfliktes kommt ein weiterer Umstand erschwerend hinzu: Das Thema Nahostkonflikt ist nicht losgelöst von den vorangehenden Zeitepochen und Phänomenen verstehbar. Die Themen Nationalsozialismus, Holocaust und Antisemitismus müssen von den Lehrenden und den Lernenden so behandelt und verstanden worden sein, dass klar wird, welche Auswirkungen dies auf den Konflikt im Nahen Osten hatte und hat. Obwohl Nationalsozialismus und Holocaust im Gegensatz zum Nahostkonflikt auch in den Schulen der Deutschschweiz zum durch Tradition herausgebildeten Kanon der zwingend zu behandeln- den Themen gehört, zeugen Aussagen und Fragen von Studierenden davon, dass sich Fehlvorstellungen bezüglich Antisemitismus und Holocaust dennoch weiter halten.11 Der Übergang von Fehlvorstellungen zu den Vorurteilen ist fliessend.

Bemerkenswert sind nicht nur die bescheidenen Vorkenntnisse von zukünftigen Lehrpersonen, sondern auch die nur teilweise bewussten Vorurteile und Voreingenommenheiten. Antisemitische und antimuslimische Vorurteile kommen häufig zur Sprache. Aber auch Voreingenommenheit gegenüber Religion an sich, antireligiöse Vorurteile, d. h. eine Voreingenommenheit gegenüber sichtbar eine Religion praktizierenden Gläubigen unabhängig vom konkreten Glaubensbekenntnis. Solche Äusserungen zeugen zunächst von antisemitischen und antimuslimischen Vorurteilen in der Gesamtgesellschaft, die in repräsentativen Studien als Bodensätze erhoben wurden. Das folgende Kapitel soll aufzeigen, dass die Komplexität des Konfliktes, bei dem sich mehrere Spannungsfelder überlagern, pauschalisierende, verkürzende und damit tendenziöse Beurteilungen begünstigen.

Multiperspektivität als Herausforderung

In der aktuellen Geschichts- und Politikdidaktik herrscht weitgehend Konsens darüber, dass in demokratischen Staaten in der Schule Überwältigung und Indoktrination verboten sind. Politisch kontrovers diskutierte Inhalte müssen den Schülerinnen und Schülern so dargeboten werden, dass sich die Unmündigen eine eigene Meinung bilden können. Diese Grundüberzeugung manifestiert sich im sogenannten Beutelsbacher Konsens.12 Wie das im seit den 1970er-Jahren breit anerkannten Konsens festgeschriebene Überwältigungsverbot sowie das Kontroversitätsgebot in der Praxis angewandt werden sollen, gibt in der Aus- und Weiterbildung immer wieder zu Fragen und Diskussionen Anlass. Gerahmt ist der Bildungsauftrag der Lehrpersonen durch die in der Verfassung verankerte Glaubens- und Meinungsfreiheit einerseits und in der Schweiz durch die Rassismussstrafnorm andererseits. Im Schulzimmer ist der Ermessensspielraum beträchtlich. Dass der Inhalt in seiner Kontroversität dargeboten werden muss, gilt hier also als Prämisse. Warum ist das in diesem Fall besonders schwierig? Warum sieht sich auch die wohlmeinende, um ausgewogene Darstellung bemühte Lehrperson rasch mit Vorwürfen der einseitigen Parteilichkeit konfrontiert?

Warum ist es so schwierig die politische Kontroverse in der gebotenen Klarheit aufzuzeigen, ohne gegen das Indoktrinationsverbot zu verstossen? Und wo endet das Spektrum der Kontroverse, welche die demokratische Verfassung schützt? Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat die grundsätzliche Schwierigkeit in einer Vorlesung auf den Punkt gebracht: Unter dem Titel

«Between Right and Right» erörtert er, dass beide Parteien, Palästinenser und Israelis, Recht haben, weil die Ansprüche auf das Territorium Palästina auf beiden Seiten berechtigt seien. Wer also hat Recht, wenn beide Recht haben? Wohlmeinende europäische Intellektuelle, linke und liberale Europäer würden gemäss Amos Oz immer wissen wollen, wer der good guy und wer der bad guy sei.13 Dieses Bedürfnis ist bei jungen Lernenden besonders ausgeprägt. Junge Menschen haben das Bedürfnis, zu wissen, welcher der Kontrahenten Recht hat. Oder zumindest auf welcher Grundlage sie sich selbst ein Urteil bilden können. Aufgabe der Lehrperson ist es aufzuzeigen, dass auf Grund von Geschichte und Gegenwart beide Parteien legitime Ansprüche haben und dennoch bisher keine demokratisch salomonische Lösung des Konfliktes möglich ist. Die Lehrperson hat den Stoff so für die Schülerinnen und Schüler aufzubereiten, dass die Lernenden exemplarische Einsichten gewinnen können, wie sich konstruktive oder destruktive Lösungsstrategien auf den Konfliktverlauf auswirken. Diese Aufbereitung wird didaktische Reduktion oder didaktische Rekonstruktion genannt. Der eine Begriff betont die Notwendigkeit, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen, ohne zu trivialisieren, der andere Begriff akzentuiert die Gliederung und Gewichtung. Bei der Aufbereitung des Stoffes im Hinblick auf eine bestimmte Altersstufe und Fassungskraft sind gute Lehrmittel eine wichtige Hilfe.

Gemäss dem einflussreichen Erziehungswissenschaftler Lawrence Kohlberg (1927–1987) fördert insbesondere das Nachdenken über das Handeln in Dilemmasituationen die Entwicklung der moralischen Urteilskraft. Konflikte sind nicht zu banalisieren, sondern so aufzubereiten, dass darin widerstreitende legitime Prinzipien erkannt werden können. Voraussetzung dafür ist gemäss Kohlberg zunächst die Perspektivenübernahme: Wie sieht das Problem aus Sicht der Kontrahenten aus? Welches sind die legitimen Prinzipien? Gibt es auch illegitime?

Vielfalt der Perspektiven – Vervielfältigung der Perspektiven

Zunächst sind die zwei Perspektiven der Kontrahenten herauszuarbeiten: die Perspektiven von Israelis und Palästinensern. Die Schulbuchinitiative Side to Side des Peace Research Institute in the Middle East (PRIME) aus dem Jahre 2003 hat am konsequentesten beide Seiten im historischen Wandel aufgezeigt. Unter dem Titel Learning Each Other’s Historical Narrative hat das PRIME ein aussergewöhnliches Schulbuch erarbeitet.14 Es beschreibt die israelische und palästinensische Geschichte des 20. Jahrhunderts aus den gegensätzlichen Perspektiven der beiden Konfliktparteien. Das Schulbuch ist konsequent und durchgängig zweigeteilt. Jede Seite bildet in der linken Spalte die israelische Sicht der Ereignisse ab, daneben findet man in den rechten Spalte die zeitgleichen Ereignisse aus palästinensischer Sicht. Das historische Narrativ des Anderen kennen lernen: Angestossen wurde das ausserordentliche Projekt von den beiden Direktoren von PRIME, dem israelischen Psychologen Dan Bar-On (1938–2008) und dem palästinensischen Wissenschaftler Sami Adwan. Bei der Durchsicht palästinensischer und israelischer Geschichtsbücher stellten sie fest, dass darin die Erfahrungen und das Leid der jeweils Anderen nicht vorkommen. In den palästinensischen Büchern wurde der Holocaust verschwiegen, in den israelischen Lehrmaterialien das Trauma der Vertreibung der Palästinenser ignoriert. Auch die jeweilige Geschichte und

Kultur werde in den Büchern der Anderen nicht behandelt. Landkarten, die in den Schulen verwendet würden, bildeten Städte und Dörfer der Anderen nicht ab. Geschichtsunterricht sei damit einseitig und im Wesentlichen darauf ausgerichtet, das Handeln der eigenen Seite zu rechtfertigen und das Bild des Anderen zu verdunkeln, schreiben die Herausgeber im Vorwort. Beide Seiten werden deshalb aufgezeigt. Dass beide Parteien zu Wort kommen und diese unterschiedlichen Perspektiven das Kapitel zum Nahostkonflikt strukturieren ist nicht völlig neu.15 Neu ist Side to Side hinge- gen als grundlegendes Prinzip. In den Lehrmitteln des

20. Jahrhunderts war es üblich, einzelne Unterkapitel zur palästinensischen Sicht einzufügen und damit phasenweise der israelischen Perspektive entgegenzusetzen. Zudem wurde bei der Auswahl der Quellenauszüge zur jüngsten Vergangenheit darauf geachtet, dass Stimmen aus beiden Lagern zu Wort kommen. Neu ist also, die ganze Geschichte durchgängig aus beiden Perspektiven zu erzählen, diese beiden Erzählungen gleich und einander gegenüber zu stellen. Vergleich- bare Wege beschreiten Schulbuchinitiativen in anderen Konfliktregionen wie etwa in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien16 und führen damit etablierte und institutionalisierte Friedensinitiativen wie diese zwischen den einstigen Kontrahenten Frankreich und Deutschland17 in aktuellen Konfliktgebieten weiter. Im Georg-Eckert-Institut, der führenden Institution für Schulbuchforschung in Deutschland, ist aktuell neben binationalen Projekten zu deutsch-polnischen Geschichtslehrmitteln bereits zum zweiten Mal eine Deutsch-Israelische Schulbuchkommission damit beschäftigt, aktuelle Lehrmittel zu analysieren und Empfehlungen für zukünftige Lehrmittel zu formulieren. Die Ergebnisse der Kommission stehen allerdings noch aus.

In welchem Verhältnis steht die vorgestellte innovative Schulbuchinitiative Side to Side zu neueren Publikationen für den Schulunterricht? In den Artikeln des Themenheftes von Praxis Politik ist zunächst auffällig, dass unterschiedliche Bezeichnungen etwa für historische Geschehnisse eingeführt werden. Zum ersten arabisch-israelischen Krieg schreibt Margret Johannsen, Politikwissenschaftlerin und Nahost-Expertin vom Institut für Friedensforschung an der Universität Hamburg, im Basisbeitrag, dass Israel diesen Krieg als «seinen ‹Unabhängigkeitskrieg›» bezeichnet, und ergänzt in Klammen, dass, «die Palästinenser» ihn «als Naqba, d. h. Katastrophe bezeichnen». Auch bei weiteren Kriegen fügt sie in Klammern die auf palästinensischer Seite übliche Bezeichnung bei.18 Vor allem aber zeigt sich die Struktur von Side to Side als Leitmotiv in

Titelüberschriften, Layout, Bild- und Textauswahl. Das Leben von Israelis und Palästinensern wird in der gleichen Struktur mit denselben Raumanteilen und Konzepten für die Auswahl der Bilder und Grafiken dargeboten.

Schauen wir ein weiteres Beispiel an: die für junge Leser geschriebene Geschichte der Israelis und Palästinenser. Das 2007 erschienene Sachbuch für Jugendliche erzählt die Geschichte beider Seiten, indem eine Vielzahl von Zeitzeugenberichten (oral history) eingeflochten werden, um die Geschichte seit «uralten Zeiten» bis heute zu erzählen. Das letzte Kapitel berichtet von den Lebensbedingungen der Israelis und Palästinenser heute. Statt eines Nachwortes wird eine authentische Begegnung geschildert, die einen jugendlichen Palästinenser und einen jungen Israeli in einem Friedenscamp im Ausland (New York) zusammenführt und miteinander zu reden bringt und trotz unterschiedlicher Positionen nach einer Lösung suchen lässt.19

Im Themenheft von Praxis Politik werden die beiden Perspektiven verschmolzen, indem als Einstieg in die Thematik ein besonderer biografischer Zugang vorgeschlagen wird. Ein israelischer Jugendlicher soll ins Thema einführen: Sein Vater ist Jude, seine Mutter Palästinenserin. Hier wird eine Lernaufgabe vorgeschlagen, die darauf abzielt, dessen Rolle einzunehmen und für gleichaltrige Gäste aus Polen eine Besichtigungstour durch Israel zusammenzustellen. Der Einbezug fiktiver Gäste aus Europa zeigt, dass für die jugendlichen Schülerinnen und Schüler in Deutschland auch die eigene Perspektive bewusst gemacht werden soll.20 Daher die Frage: Reicht ein Blick in beide Richtungen auch für Europäer? Auch für Menschen, die aus sicherer Distanz, als Zuschauer aus der Ferne auf den Schauplatz schauen? Oder anders gefragt: Welche Stolpersteine zeigen sich beim naiven Blick in beide Richtungen? Beobachtungen in Lehrveranstaltungen zum Thema geben Hinweise dazu: Wenn Studierende ohne Vorkenntnisse ins Thema einsteigen so nehmen sie den Nahostkonflikt heute zunächst und in erster Linie als einen religiösen Konflikt zwischen religiösen Fanatikern wahr. Nicht Israelis und Palästinenser stehen sich in ihrer Wahrnehmung gegenüber, sondern Juden und Muslime. In meinen Augen stellt dies die grösste Herausforderung dar: Die religiösen Dimensionen des Konfliktes im Geschichtsunterricht angemessen zu thematisieren, ohne bereits vorhandene Vorurteile gegenüber Judentum und Islam bzw. gegenüber Religion überhaupt zu verstärken.

Religion: Nicht zwei, sondern mindestens drei Perspektiven

Die Bedeutung des gelobten Landes und Jerusalem als Heilige Stadt soll nicht nur für Judentum und Islam, sondern mit dem Christentum für drei Weltreligionen vorgestellt werden. Nicht nur Felsendom und Al Aqsa- Moschee sowie die Klagemauer, sondern auch die Grabeskirche soll Erwähnung finden. Nicht nur zwei, sondern drei Religionen oder die Vielfalt der Konfessionen sind zu benennen. Dazu eignen sich etwa die Materialien «Wem gehört Jerusalem? Rede und Gegenrede» zwischen Elie Wiesel und Israel Schamir im Lehrmittel Schweizer Geschichtsbuch:

Mit seinen ergreifenden Worten hat Elie Wiesel ein wunderbares Porträt des jüdischen Volkes mit seinem Be- gehren nach Jerusalem gezeichnet. […] die Stadt Jerusalem […] ist nicht und war nie in Bedrängnis. Sie hat viele Jahrhunderte der Umarmung durch ein anderes Volk glücklich überdauert, durch die Palästinenser von Jerusalem, die sie gut behandelt haben. Sie haben sie zu der Schönheit gemacht, die sie ist, haben sie mit einem prächtigen Juwel geschmückt, dem Felsendom des Tempelplatzes, haben ihre Häuser mit Spitzbögen und breiten Portalen errichtet und Zypressen und Palmen gepflanzt. […] Jerusalem ist Milliarden von Gläubigen heilig; Katholiken, Protestanten und orthodoxen Christen, sunnitischen und schiitischen Moslems, Tausenden von chassidischen und sephardischen Juden. Und doch ist Jerusalem als Stadt nicht anders als jeder andere Ort der Welt; sie gehört ihren Einwohnern.21

Ein historischer Exkurs zu den Kreuzzügen soll den Lernenden in der Deutschschweiz vor Augen führen, dass auch im Namen der christlichen Religion einst Kriege geführt wurden und Glaubensfreiheit sowie religiöse Toleranz zentrale Errungenschaften der Moderne darstellten.

Begriffsunterscheidung zwischen Religion und Ideologie

Die Begriffsklärung was Religion von Weltanschauung unterscheidet, kann Anlass sein, Gemeinsamkeiten von Weltreligionen kennen zu lernen und den Wert von Glaubensfreiheit und Toleranz zu erkennen.22 Im Unter- schied dazu können Auszüge aus politischen Dokumenten (Gründungsurkunde des Staates Israel, PLO- Charta, Hamas-Charta) die ideologische Zielsetzung der Parteien verdeutlichen.23

Um die in der Schweiz bei Lernenden häufig diagnostizierte Fehlvorstellung, dass dem Islam oder dem Judentum besondere Strenggläubigkeit eigen sei, ist es wichtig, säkular Lebende und streng Religiöse on both sides und on all sides kennen zu lernen. Dazu eignet sich etwa der Dokumentarfilm Promises, der Kinder und Jugendliche in und um Jerusalem porträtiert. Säkular lebende Juden und Palästinenser einerseits und sicht- bar ihre Religion praktizierende lebende Juden und Palästinenser andererseits.24 Der Film wurde zwischen 1997 und 2000 gedreht und ist mit seiner Friedensbotschaft Ausdruck der Hoffnungen kurz nach Oslo. Von der erneuten Verschärfung seit der Zweiten Intifada ist noch nichts sichtbar. In Promises fehlt die Position der Hamas. Auf diesen Umstand muss beim Einsatz des Films hingewiesen werden, damit die Gesamtsicht nicht in Schieflage gerät.

Die genannte Fehlvorstellung lässt sich auch unabhängig vom Nahostkonflikt thematisieren. Dazu sind Publikationen geeignet, welche in der Schweiz lebende jugendliche Muslime und Juden porträtieren wie etwa Zwischen Davidstern und Schweizerpass (1999) oder Allahs Kinder sprechen Schweizerdeutsch (2001) von Philipp Dreyer.25

Wie kann also die religiöse Dimension des Konfliktes im Geschichtsunterricht einer demokratischen Schule thematisiert werden? Wie kann die religiöse Perspektive verstanden werden, ohne die daraus abgeleiteten politischen Forderungen zu legitimieren? Zentral ist dabei, Strenggläubigkeit und politischen Fundamentalismus zu unterscheiden und klarzustellen, dass nicht religiöse Praxis die Demokratie bedroht, sondern die Vision eines Gottesstaates. Zunächst ist die Relativität des Begriffes Terrorismus zu erkennen. Für beide Parteien gilt wechselseitig: Mein Terrorist ist dein Freiheitskämpfer. Deshalb ist die einseitige Zuschreibung abzulehnen und der Terrorismus als Gefährdung der Demokratie zu erkennen, die sich dadurch auszeichnet, dass für alle gleichermassen die Menschenrechte gelten.

Opfer-Täter-Bystander und Vermittler

Als letzten Punkt möchte ich die von Amos Oz als «europäisch» charakterisierte Frage nach dem good und dem bad guy in dieser Geschichte nochmals aufgreifen. Im Geschichtsunterricht stehen bei diesem Thema die Werteklärung und die Differenzierung der moralischen Urteilsfähigkeit im Zentrum. Die Analyse von Amos Oz macht deutlich, dass das bipolare Schema von Gut und Böse zwingend zu kurz greift, weil es den Dritten im Spiel ignoriert. Im Nahostkonflikt, so Amos Oz, haben beide recht und es stehen sich nicht Opfer und Täter gegenüber, sondern zwei Opfer. Beide beschuldigen sich gegenseitig der terroristischen Täterschaft. Dabei kämpft Opfer gegen Opfer. Beide sieht er als Opfer der europäischen Grossmachtpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Europa als vermeintlicher unbeteiligter Dritter, als Bystander, der sich als Vermittler versteht, landet bei Oz selbst als mutmasslicher Täter und historischer Verursacher des Konfliktes auf der Anklagebank.

Schriftsteller haben im Gegensatz zu Wissenschaft- lern, Historikern oder Politikwissenschaftler die Freiheit, Komplexität zu reduzieren und zuzuspitzen. Für Lehrpersonen ist die didaktische Zuspitzung auf die Kern- fragen eine Pflicht. Die grösste Herausforderung stellt sich bei der Rollenzuteilung in diesem Konflikt. Zentral scheint mir dabei, dass bei der Charakterisierung der unterschiedlichen Rollen diejenige des nicht direkt beteiligten Dritten einbezogen wird.

Auch journalistische Texte verdichten und spitzen zu. Gemäss Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut spie- gelt sich «das allgemeine Bild des Nahostkonflikts aus den heutigen Medien, etwa das David-Goliath-Narrativ», in den Geschichtslehrmitteln. Gerade dieses seiner Einschätzung nach problematische Narrativ findet sich, gemäss seiner vorläufigen Einschätzung, in plakativen Bildern und wertenden Überschriften wieder.26

Das David-Goliath-Narrativ impliziert wie das Opfer- Täter-Modell eine Beurteilung von Gut und Böse. Small and smart gegen den groben Riesen. Das Narrativ er- fasst nur zwei Kontrahenten. Entscheidend für die Machtverhältnisse sind aber nicht nur die beiden Streitparteien, sondern die unterstützenden Mächte im Hintergrund. Je nachdem welche Situation in den Blick genommen wird, scheint die eine oder andere Partei die Rolle des David einzunehmen. Auf der lokalen Ebene erscheint der Steine gegen Panzer werfende Palästinenser in der Intifada als David. Betrachtet man hingegen Israel gegenüber den arabischen Nachbarstaaten bei Beginn des ersten Nahostkrieges 1948, so erscheint Israel als David. Wenig später drehen sich allerdings die Machtverhältnisse um: In der Schlussphase des- selben Krieges erscheinen wiederum die Palästinenser als David. Im Geschichtsunterricht geht es darum, Bilder wie das David-Goliath-Narrativ zu nutzen, um Machtverhältnisse zu verdeutlichen. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass Erzählmuster Wertungen enthalten und Parteinahmen transportieren. Nicht nur die Angemessenheit des Erzählmusters für die Kräfteverhältnisse, sondern auch die implizierte Bewertung muss diskutiert werden.27 Wer ist heute David, wer Goliath? Das Machtgefälle zeigt sich unterschiedlich, je nachdem welcher Kartenausschnitt gewählt oder welcher Zoom bei der Kamera eingestellt wird: lokal (Palästinenser in besetzten Gebieten), regional (Israel umgeben von arabischen Nachbarländern), global (Ver- einigte Staaten von Amerika als Weltpolizist). Die unreflektierte Verwendung von Erzählmotiven, die eine parteiergreifende Botschaft vermitteln (Parteinahme hier für die militärisch schwächere Seite) widerspricht dem Indoktrinationsverbot.

Abschliessend soll festgehalten werden, dass die Forderung der Multiperspektivität für Lehrpersonen eine echte Herausforderung darstellt, weil es nicht nur da- rum geht, die Perspektiven der beiden Konfliktparteien nachzuvollziehen. Vielmehr sind auf beiden Seiten demokratisch legitimierte von fundamentalistischen, die Demokratie gefährdenden Positionen zu unterscheiden. Die Schülerinnen und Schüler sollen verstehen, dass Demokratie und Menschenrechte zu stärken sind und für eine säkulare politische Lösung zu kämpfen ist. Allen Beteiligten muss das Recht einräumt werden, die eigene Religion zu praktizieren oder davon abzusehen – ohne daraus den Anspruch auf Privilegien abzuleiten. Im Gegensatz dazu sind die gefährlichen, den Friedensprozess torpedierenden Positionen ausserhalb des legitimen demokratischen Staatswesens zu erkennen sowie die fundamentalistischen Positionen auf beiden Seiten. Für die Jugendlichen in der Schweiz soll also deutlich wer- den, dass Europa und die ganze Welt in diesem ungelösten Konflikt involviert und vom ihm bedroht sind, auch wenn sie den Schauplatz als weit entfernt empfinden. Obwohl weiterhin kein Frieden in Sicht ist, gilt es unentwegt nach gangbaren Wegen zu suchen.

Anmerkungen

* Dieser im Jahr 2014 verfasste Aufsatz entspricht dem Stand der Dinge vor der Einführung des Lehrplans 21.

** Prof. Dr. Sabina Brändli ist Historikerin und Geschichtsdidaktikerin. Als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich ist sie in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen tätig, die auf der Sekundarstufe I Geschichte unterrichten. Das Modul

«Globale Zeitfragen in Geschichte» bietet Gelegenheit, mit Studierenden das Thema Nahostkonflikt für den Geschichtsunterricht aufzubereiten und Lehrmaterialien zu aktualisieren und weiterzuentwickeln. Gegenwärtig leitet sie zudem ein Forschungsprojekt, das den Wandel des Geschichtsunterrichts seit 1830 am Beispiel der Lehrmittel untersucht. Als weiteren Schwer- punkt ihrer Arbeit beschäftigt sie, wie der Geschichtsunterricht in der Migrationsgesellschaft ausgerichtet werden soll.

1 Der Zürcher Lehrplan unterscheidet dabei vier Zieldimensionen: Arbeitsweisen, Orientierungswissen, Einblick in Zusammen- hänge, Wertvorstellungen klären.

  1. «Weltgeschichtliche Kontinuitäten und Umbrüche erklären», Lehrplan 21, http://zh.lehrplan.ch/index.php?code=b|6|4|6 (Zu- griff am 1. Februar 2018). Zudem schildert der Punkt «Ausgewählte Phänomene der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts» von «Räume, Zeiten, Gesellschaften (mit Geografie, Ge- schichte)» mit Begriffen wie «Bürgerkrieg», «Terrorismus», «Humanitäres Völkerrecht», «Flucht» Möglichkeiten aus, den Nahost zu thematisieren.

  2. Siehe Helmut Meyer und Peter Schneebeli, Durch Geschichte zur Gegenwart, Bd. 4: Die Zeit des Kalten Krieges. Die Zeit der weltweiten Probleme, Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 1991, S. 116–123, und der 1992 erschienene Lehrerkommentar dazu, S. 90–96.

  3. Siehe Menschen in Zeit und Raum, Bd. 9: Viele Wege – eine Welt. Erster Weltkrieg bis Globalisierung, Schülerbuch und Kommentar mit 1 CD-ROM, Buchs: Lehrmittelverlag des Kantons Aargau, 2005–2011.

  4. Siehe Schweizer Geschichtsbuch, Bd. 4: Zeitgeschichte seit 1945, erarbeitet von Thomas Notz, Jörg Rentsch, Urs Roemer, Birgit Stadler, Karl-Heinz Holstein und Wolfgang Jäger, Berlin: Cornelsen, 1. Aufl., 3. Druck, 2014, Kap. 7: «Der Nahe Osten», S. 266–323.

  5. Siehe Wolfgang Klafki, «Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung», in: Die deutsche Schule, Heft 10 (1958),

    S. 450– 471; Nachdruck in: Auswahl. Grundlegende Aufsätze aus der Zeitschrift Die deutsche Schule, Reihe A, Bd. 1: Didaktische Analyse, Hannover: Schroedel, 1964, S. 5–34.

  6. Monika Ebertowski, «Nahostkonflikt: Aktualität und Interessen vermitteln», in: Praxis Politik, Heft 1 / 2014: Gelobtes Land? Der Nahostkonflikt – 65 Jahre ohne Friede, S. 10–11, hier S. 10.

8 Ebd., S. 10.

  1. Siehe beispielsweise Richard Gebhardt, Anne Klein und Marcus Meier (Hrsg.), Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft, Beiträge zur kritischen Bildungsarbeit, Wein- heim: Beltz Juventa, 2012.

  2. M. Ebertowski, «Nahostkonflikt» (Anm. 7), S. 10.

  3. Vgl. dazu auch die von der Amadeu Antonio Stiftung herausgegebene Brochüre «Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen…?!» Über legitime Kritik, israelbezogenen Antisemitismus und pädagogische Interventionen, Berlin, [2012].

  4. Zum Beutelsbacher Konsens, siehe Herbert Schneider, «Der Beutelsbacher Konsens», in: Wolfgang W. Mickel (Hrsg.), Hand- buch zur politischen Bildung, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1999, S. 171–178. In den didaktischen Überlegungen von Monika Ebertowski wird darauf hingewiesen, Grundlage des Themenheftes bilde der Beutelsbacher Konsens von 1976,

    «Nahostkonflikt» (Anm. 7), S. 10.

  5. Amos Oz, «Between Right and Right», in: ders., How to Cure a Fanatic, Princeton: Princeton University Press, 2010, S. 1–35, hier S. 1 [zuerst in Help Us to Divorce. Israel and Palestine:

    Between Right and Right, 2004, veröffentlicht]. Diese 2002 in Tübingen gehaltene Vorlesung wurde in deutscher Überset- zung in Oz’ Sammelband Wie man Fanatiker kuriert. Tübinger Poetik-Dozentur 2002, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004,

    S. 61–84, gedruckt. Für eine französische Übersetzung, siehe

    «Un conflit entre deux causes justes», in: Amos Oz, Comment guérir un fanatique, Paris: Gallimard, 2006, S. 51–72.

  6. Learning Each Other’s Historical Narrative. Palestinians and Israelis, Beit Jallah: Peace Research Institute in the Middle East, 2003 (online zugreifbar unter: www.vispo.com/PRIME/ leohn1.pdf). Deutsche Übersetzung: Das Historische Narrativ des Anderen kennen lernen. Palästinenser und Israelis, Beit Jallah: Peace Research Institute in the Middle East/ Berlin und Tübingen: Berghof Forschungszentrum, 2009 (online zugreifbar unter: friedenspaedagogik.de/blog/wp-content/uploads/2010/03/ primetextbuch.pdf). Französische Version: Histoire de l’autre, Paris, Liana Levi, 2004. Auf Englisch erschien noch ein zweiter ergänzender Teil: Learning Each Other’s Historical Narrative. Palestinians and Israelis. Part Two, Beit Jallah: Peace Research Institute in the Middle East, 2006 (online zugreifbar unter: vispo. com/PRIME/narrative.pdf). Auf Deutsch erschienen beide Teile, diesmal direkt aus dem Hebräischen und dem Arabischen übersetzt, als einbändiges Werk: Sami Adwan, Dan Bar-On und Eyal Naveh (Hrsg.), Die Geschichte des Anderen kennen lernen. Israel und Palästina im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Campus, 2015.

  7. Im ältesten Zürcher Lehrmittel, das den Nahostkonflikt thematisiert, werden nur diese beiden Konfliktparteien unterschieden. Im 1993 mit Ergänzungen erschienenen Band 9 des Lehrmittels Zeiten, Menschen, Kulturen gibt es unter dem Titel «Der Nahe Osten» ein 14-seitiges Kapitel zum Nahostkonflikt (siehe Peter Ziegler, Zeiten, Menschen, Kulturen, Bd. 9: Die Nachkriegszeit [1945 –1984], Anhang 1985 –1993, Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 1993, S. 100–113). Im Gegensatz zu historisch abgeschlossenen Kapiteln gibt es hier keine Analyse, sondern nur eine Zeitleiste mit tabellarisch aufgeführten Fakten, und anschliessend Auszüge aus Quellentexte und Bildmaterialien, Karten und statistisches Material. Die Zeitleiste setzt 1516–1519 ein und zeichnet anschliessend den Prozess seit dem Beginn der Einwan- derung russischer Juden in Palästina 1888 nach. Bei der Auswahl der Ausschnitte aus Quellen und Materialien ist den Zwischen- titeln zu entnehmen, dass die Auswahl beide Seiten berücksichtigt. Die formulierten Titel und das ausgewählte Bildmaterial versu- chen einseitige Parteilichkeit sorgfältig zu vermeiden. Auch in der Zusammenstellung der Quellen und Auszüge aus Darstellungen stehen sich beide Perspektiven ohne Wertung gegenüber.

  8. Siehe http://www.gei.de/forschung/schulbuch-und-gesellschaft/schulbuch-und-curriculumentwicklung-in- suedosteuropa. html (Zugriff am 27. Januar 2015).

  9. Der TV-Sender Arte ist ein Beispiel einer binationalen deutsch- französischen Friedensinitiative.

  10. Margret Johannsen, «Nahostkonflikt: keine Lösung in Sicht. Ewiger Unfrieden im Heiligen Land», in: Praxis Politik, Heft 1 / 2014 (Anm. 7), S. 4–8, Zitate S. 6. Ob es sich hier um Spuren der Schul- buchinitiative handelt, sei dahin gestellt. Die Expertin benutzt in ihrem Studienbuch Der Nahost-Konflikt (Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 22009) den neutralen Begriff der «erste

    Nahost-Krieg, in Israel auch ‹Unabhängigkeitskrieg› genannt» (S. 22), und fügt hier erst zwei Seiten später an: «Der Krieg hat sich im Gedächtnis des palästinensischen Volkes als ‹Naqba› (= Katastrophe) eingeprägt.»

  11. Noah Flug und Martin Schäuble, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser. Mit grossem Info-Teil zum Nahost-Konflikt aus Karten, Zeittafel und Medientipps, München: Hanser, 2007.

  12. Praxis Politik, Heft 1 / 2014 (Anm. 7), Rubrik «Arbeitsmaterialien», S. 15: «Wer ist Anan Jablonko? […] Aufgaben: 1. Stelle den Jugendlichen Anan Jablonko vor. Gestalte ein Profil für ihn, das auch Einträge zu seinem Selbstbild enthält. 2. Stell dir vor, Anan erwartet Besuch von einer Cousine und einem Cousin von seiner polnischen Familie. Er plant mit ihnen eine Rundreise und hat als Stationen gewählt: Tel Aviv, den Kibbutz Yotvata, Eilat, Ramallah, Bethlehem und Nazareth. Begebt euch virtuell mit auf diese Reise und schildert eure Ergebnisse anhand […] der Karten».

  13. Aus: Elie Wiesel, «Jerusalem, mein Herz», und Israel Schamir, «Jerusalem, unser aller Herz», in: Die Welt, 9. April 2001, ausgewählte Auszüge als Materialien M 5: «Wem gehört Jerusalem? Rede und Gegenrede», in: Schweizer Geschichtsbuch (Anm. 5), S. 317–318, Zitat aus der Gegenrede von Israel Schamir.

  14. Diesen Weg beschreiten Lehrmittel bei anderen aktuellen Krisenherden, vgl. zum Beipsiel Samuel Batzli, Beatrice Gutmann, Peter Hobi und Armin Rempfler, Das Geobuch. Geographie für die Sekundarstufe I, Schulbuch Bd. 2: [Eine Welt – voller Unter- schiede], Zug: Klett und Balmer, 2003, S. 36– 43: «Islam – mehr als eine Religion». Im Geschichtslehrmittel Durch Geschichte zur Gegenwart, Bd. 4 (Anm. 3), enthält das Kapitel «Die Welt des Islams» (S. 95–104) Informationen zur Religion (S. 97–99).

  15. Auszüge der PLO-Charta von 1968 in: Schweizer Geschichts- buch (Anm. 5), S. 286–287, im Vergleich zu Proklamationsurkunde des Staates Israel von 1948 (S. 285) und UN-Resolution 242 von 1967 (S. 286). Die Prägung der Wahrnehmung durch den aktuellen religiösen Fundamentalismus zeigt sich dabei, wie Studierenden heute bei der Analyse der Palästinensischen Nationalcharta mit Irritation realisieren, dass die darin vermuteten religiösen Zielsetzungen fehlen. In Praxis Politik, Heft 1/2014 (Anm. 7), sind auch Auszüge der Hamas-Charta zur kritischen Analyse aufbereitet. Auf Gymnasialstufe können die ideologischen Differenzen noch ausführlicher untersucht werden. Dazu sind die Materialien im Themenheft von Praxis Politik geeignet, welche beispielsweise die politischen Fraktionen in israelischen und palästinensischen Parlamenten aufschlüsseln.

  16. Auf Deutsch: Hass und Hoffnung – Kinder im Nahostkonflikt. Dokumentarfilm vom israelisch-amerikanischen Regisseur Ben Zion Goldberg aus dem Jahr 2001.

  17. Philipp Dreyer, Zwischen Davidstern und Schweizerpass. 24 Porträts jüdischer Jugendlicher, Zürich: Orell Füssli, 21999; Philipp Dreyer, Allahs Kinder sprechen Schweizerdeutsch. 23 Porträts von muslimischen Jugendlichen, Zürich: Orell Füssli, 22001.

  18. Zitat nach Andreas Schneitter, «Schweizer Schulbücher auf dem Prüfstand», in: Tachles, 28. März 2014 http://tachles.ch/ news/print/schweizer-schulbuecher-auf-dem-pruefstand (Zugriff am 30. März 2014). Die Publikation der Ergebnisse der binationalen Kommission ist erst 2015 zu erwarten, siehe http:// www.gei.de/forschung/europa/bruchlinien/deutsch-israelische- schulbuchkommission.html (Zugriff 27. Januar 2015).

  19. Mustergültig reflektiert das Jugendsachbuch von N. Flug und M. Schäuble, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (Anm. 18), S. 47– 48, die Angemessenheit des Erzählmusters.