Adolf Keller (1872–1963)

Weltbürger, Ökumeniker, Sozialethiker und Vermittler zwischen den Kulturen

Adolf Keller
Adolf Keller / © Pierre Keller

«Gott gab mir Zeit, Gesundheit und Stärke für all diese Arbeiten.»

Adolf Keller entstammte einem pietistisch-orthodoxen Elternhaus und wuchs in Rüdlingen im Kanton Schaffhausen auf. Als ältester Sohn des dortigen Lehrerehepaars Johann Georg und Margarita Keller-Buchter spielten Mission und Evangelisation früh eine Rolle in seinem Leben. Damit wuchs Kellers Wunsch, den Glauben weiterzugeben und sich mit der weltweiten Kirche zu verbinden. Er absolvierte das Gymnasium in Schaffhausen, studierte u.a. Theologie in Basel und Berlin bei Adolf von Harnack und Adolf Schlatter. Bereits hier ärgerte er sich, dass die Theologie in die orthodoxe und die liberale Richtung auseinanderfiel.

Nach seiner Ordination wurde Keller 1896 Hilfspfarrer in der deutsch-evangelischen Gemeinde in Kairo. Dort lernte er noch besser Arabisch und den Koran kennen. Die Zerrissenheit der Christenheit angesichts des Islams schmerzte ihn, andererseits konnte er in seiner Gemeinde sinnvolle Zusammenarbeit über die Konfessionen hinaus erleben. Nach seiner Rückkehr drei Jahre später war er Pfarrer in Burg bei Stein am Rhein und in der Deutschschweizer Gemeinde in Genf, danach nahm er eine Pfarrstelle in der Gemeinde St. Peter in Zürich an (1909 bis 1923). Er war überzeugt, dass er ausser seinen Pflichten als Seelsorger gerade in Zeiten der Krise für Kirche und Gesellschaft Verantwortung zu tragen habe.

Er bemühte sich um die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft nach urchristlichen Vorbildern und nach Anregungen aus den Begegnungen mit europäischen und nordamerikanischen Christen. Mit Blick auf die Schweiz beschäftigte ihn, dass die reformierten Kirchen zu wenig eine «wirkliche Gemeinschaft» bildeten, um sozial, geistlich aber auch politisch handeln zu können. Die Schweizerische Kirchenkonferenz merkte im Ersten Weltkrieg deutlich, dass ein verbindlicherer Zusammenschluss für gemeinsames Handeln geschaffen wurden müsste. Schon ab 1917 richtete die Konferenz ein ständiges Büro ein. Nach dem Kriegsende suchte der Amerikanische Kirchenbund dann einen Dialogpartner im europäischen Protestantismus und fasste die neutrale und unversehrte Schweiz ins Auge. Die Kirchenkonferenz entsendete den weltgewandten Keller 1919 an die Generalversammlung des Federal Council of the Churches in Christ in America in Cleveland. Eine enge Beziehung und Zusammenarbeit entstanden. Zurück in der Schweiz hatte Keller die Idee eines Bundes im Gepäck, um die Herausforderungen der Nachkriegszeit zu meistern und das Verbindende zu pflegen. Auch mit protestantischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen aus dem Ausland. Der Ökumeniker prägte daraufhin den neugegründeten Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund als nebenamtlicher Sekretär von 1920 bis 1941. Der SEK sollte in Kellers Augen bei Interessenkonflikten Orientierung bieten, indem er auf verbindliche ökumenische Verpflichtungen hinweist. So war es auch Keller, der den Beitritt des SEK zum angedachten Ökumenischen Rat der Kirchen 1940 vorbereitete. Nicht ohne Kritik aus den eigenen Reihen. Seit 1920 war er regelmässig Delegierter des SEK an internationalen ökumenischen Konferenzen und verhandelte den Beitritt des SEK zum Reformierten Weltbund. Da er für den SEK sehr viel reisen musste, brachte ihm das durch Karl Barth den Spitznamen Weltadolf ein. Er unterstützte als zweiter Generalsekretär die Arbeit der ökumenischen Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work), die in die Gründung des ÖRK 1948 mündete.

Der Einsatz für die Einheit des Christentums beschäftigte Keller lebenslang. Er sah einen geistigen Lebenskern in allen Konfessionen und ein Zeitalter anbrechen, indem sich die Reformierten mehr darauf konzentrieren, was sie mit anderen eint, als was sie trenne. Die internationale ökumenische Arbeit und die Zusammenarbeit unter den reformierten Kirchen der Schweiz war dabei für Keller kein Entweder-Oder. Er dachte, dass das Eine dem Anderen zugutekommt und theologisch geboten war. In verschiedenen Publikationen bemühte er sich, deutschsprachige und angelsächsische Theologie und Kirchenwelt einander näher zu bringen.

Ab 1926 leitete Keller das Internationale Sozialwissenschaftliche Institut von Life and Work und war als Dozent für ökumenische Fragen an den Universitäten Zürich und Genf tätig. Das von Keller 1934 gegründete Ökumenische Seminar war der Vorläufer des Ökumenischen Instituts Bossey.

Als Generalsekretär leitete er die europäische Zentralstelle für kirchliche Hilfsaktionen in Zürich zwischen 1922 und 1945. Er machte keine grundsätzliche Trennung zwischen kirchlichen und politisch-sozialen Bemühungen. Die Kirchen könnten der furchtbaren Wirklichkeit des Kriegs und seiner Folgen zum Trotz «immer wieder den Glauben unterhalten, dass wir als Kinder eines Vaters und einer Erde dem Dunkel der Gegenwart entrinnen und einer kommenden Gemeinschaft der Liebe und der Gerechtigkeit entgegengehen». Die Europäische Zentralstelle half auch orthodoxen Studenten, unterstützte verfolgte armenische Christen und nestorianische Assyrer im Irak, half bei Hungersnöten in Russland und China. Später kam das Engagement für evangelische Flüchtlinge aus Spanien in Frankreich dazu. Keller konnte dank seiner internationalen Beziehungen und Informationsreisen die richtige Verteilung der Gelder gewährleisten. Mit Hilfe von Schweizer Bankiers rief er eine internationale protestantische Darlehensgenossenschaft ins Leben (heute ökumenischer Darlehensfonds ECLOF). Ab 1933 kümmerte sich die Hilfsstelle immer mehr um evangelische Flüchtlinge. Im Jahr 1945 wurde die Europäische Zentralstelle in die Abteilung für zwischenkirchliche Hilfe des ÖRK integriert.

Keller war zeitlebens vielfältig interessiert, schrieb neben seinem Pfarramt Artikel für diverse Zeitungen, befasste sich mit der Psychoanalyse seines Freunde Carl Gustav Jung und der Lebensphilosophie Henri Bergsons. Er widmete sich seinen Aufgaben mit viel Elan und war ein Kosmopolit. Mit seiner Frau Tina Keller-Jenny, die als Psychotherapeutin wirkte, zog er fünf Kinder gross. Er war ein sehr guter Pianist, er liebte Bach, Beethoven und Brahms. Auch im Pensionsalter behielt Keller seine akademische Tätigkeit bei, beteiligte sich u.a. an der Herausgabe der Geschichte der Ökumenischen Bewegung. 1954 emigrierte Keller nach Evanston in Kalifornien, wo er seinen Lebensabend verbrachte.